Psychologin: Dreyers Rücktritt zeigt Mut zur Verletzlichkeit

Ehrlich sagen, wenn man nicht mehr kann: Das offene Eingeständnis von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), dass ihre Kraft nicht mehr reiche, zeigt nach den Worten einer Sozialpsychologin ein hohes Maß an Selbstakzeptanz.

Der von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer jüngst angekündigte Rücktritt zeigt nach Angaben der Sozialpsychologin Sabine Scholl ein “hohes Maß an Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz” der Politikerin, wie Scholl im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläuterte. Die SPD-Politikerin Dreyer hatte vergangene Woche nach elf Jahren Amtszeit erklärt, dass ihre Kraft für das Amt nicht mehr reiche. “Ich bin einfach nur müde”, hatte die 63-Jährige gesagt.

“Dieses Eingeständnis wirkt authentisch und stärkt das Vertrauen in sie”, erklärte Scholl, die an der Hochschule Heilbronn zu Verletzlichkeit und Selbstmitgefühl forscht. Schwäche zeigen zu können, sei eine Stärke. Für Dreyer sei es sicherlich nicht einfach gewesen, sich mit dieser Nachricht vor die Presse zu stellen. “Sie schickt damit aber auch eine Einladung an andere heraus, sie nun weiterhin auf ihrem Weg zu unterstützen. Und gleichzeitig reduziert sich für sie damit auch der Druck”, so Scholl.

Dreyer hatte in der vergangenen Woche erklärt, dass ihr Rückzug für sie “eine schwere Entscheidung” gewesen sei. Sie wolle aber Platz machen für jemanden, der das Ministerpräsidentenamt “mit ganz viel Kraft” übernehme – das hätte das Land verdient. Bis zur nächsten Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2026 soll der bisherige Arbeits- und Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) übernehmen. Dreyer hatte schon vor vielen Jahren öffentlich gemacht, an Multipler Sklerose erkrankt zu sein.

Der Professorin Scholl zufolge gehört es zum “Sein” eines jeden dazu, Schwächen zu haben. “Das muss man für sich selbst erkennen. Dann erlaubt man es sich auch, solche Schritte zu gehen”, sagte Scholl. Seine eigenen Gefühle anzuerkennen und in der Lage zu sein, Selbst-Mitgefühl zu empfinden, ermöglichten es, aus den Schwächen Konsequenzen zu ziehen.

Der verfrühte Rückzug Dreyers hat Scholls Ansicht nach “Vorbildcharakter”. Kraftlosigkeit sei dabei kein typischer Grund für einen Rückzug. “Nur wenn Menschen den Mut haben, ihre Schwäche einzugestehen, können andere es ihnen nachmachen.” Die SPD-Politikerin selbst hatte auch ein Vorbild, an dem sie sich orientieren konnte: Ihr Vorgänger Kurt Beck (SPD) hatte nach 18 Jahren als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz 2012 seinen Rücktritt angekündigt – ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen. Auf ihn folgte 2013 Malu Dreyer.

Karriere-Coachin Silke Grotegut erklärte, dass Unternehmensvorstände wie auch Spitzenpolitiker in der Regel “eine unglaubliche Leistungsbereitschaft” auszeichne. “Wer es bis dahin geschafft hat, hat meistens eine gute Konstitution und ein funktionierendes Stressmanagement.” Sie selbst kenne viele, die nur vier Stunden in der Nacht schlafen würden, berichtet Grotegut, die früher als Personalerin bei der Deutschen Telekom beschäftigt war.

In der freien Wirtschaft sei es eher unüblich, eine Erkrankung oder gesundheitliche Einschränkungen zuzugeben. “Dann wird einfach der Vertrag nicht verlängert und es heißt, derjenige möchte mehr Zeit mit der Familie verbringen”, sagte Grotegut. Auch für sie hat Dreyers öffentliche Erklärung Vorbildcharakter: “Das zeigt, dass wir alle Menschen sind. Jeder hat seine Baustelle.”