“Psychologie Heute” hat Geburtstag – Gleiches Ziel, neue Aufgabe
Das berühmte Motiv von Jack Nicholson in “The Shining” zierte ebenso bereits das Cover wie die Jungfrau Maria: Seit einem halben Jahrhundert erscheint die Zeitschrift “Psychologie Heute”. Ihr Erfolg ist ungebrochen.
In Therapie-Stühlen oder -Sesseln nehmen heute deutlich mehr Menschen Platz als vor 50 Jahren. Und noch viel mehr interessieren sich für psychologische Themen. Rund 60.000 Exemplare werden von der Zeitschrift “Psychologie Heute” jeden Monat verkauft, hinzu kommen Dossiers, eine Website mit Artikel-Flatrate sowie digitale Live-Gespräche mit Fachleuten.
In der Rückschau sei es erstaunlich, wie viele Dinge unverändert geblieben seien, sagt Dorothea Siegle. Die Historikerin – die einzige Nicht-Psychologin zwischen sechs Redakteurinnen – ist seit 2018 Chefredakteurin des Monatsmagazins. So sei das Ziel weiterhin, die menschliche Seele zu verstehen und die Psychologie, also die “Lehre von der Seele”, allgemeinverständlich zu erklären. Dabei habe es nie eine Scheu vor “schweren Themen” gegeben, etwa Titelgeschichten über Depressionen.
Was heute auch andere Magazine thematisieren, war damals Neuland. Die erste Ausgabe von “Psychologie Heute” erschien im September 1974 im Beltz-Verlag; Vorbild war die US-Zeitschrift “Psychology Today”. Auch damals habe die Beschäftigung mit psychologischen Themen geboomt, aber eher als “innovatives Randphänomen”, so Siegle. “Heute ist es in der Mitte der Gesellschaft angekommen, und damit hat sich die Aufgabe sehr verändert.”
Während die Zeitschrift in den Anfängen vor allem ein Grundverständnis vermittelt habe, sei die gesellschaftliche Informiertheit heute sehr groß – und die Aufgabe eher, das Wissen hinter medialen Schlagworten zu vermitteln. “Die Hashtags sind bekannt”, sagt die Publizistin mit Blick auf Soziale Medien, in denen #mentalhealth ein Dauer-Trendthema ist. “Weil es ein viel größeres Angebot gibt, ist unsere Funktion eher wichtiger geworden.” Es gehe darum, Orientierung zu bieten, Wissen zu vertiefen und mitunter auch populäre Missverständnisse richtigzustellen.
Das betrifft beispielsweise bestimmte Ausdrücke, die in aller Munde sind – wie “toxisch”, erläutert Siegle: “Man liest häufig, ein Vorgesetzter oder eine Beziehung sei toxisch. Wir haben zwar eine Geschichte über ‘toxische Beziehungen’ gemacht, aber erklärt, dass dies kein wissenschaftlicher Begriff ist und die Schwierigkeiten in Beziehungen diffenziert beleuchtet.” Grundsätzlich sei es der Redaktion wichtig, fundierte Gespräche mit mehreren Fachleuten zu führen – und nicht allein Listen zu verbreiten a la “Fünf Tipps, wie Ihre Kinder weniger Angst haben”. Auch eigene Beiträge von Wissenschaftlerinnen und Psychotherapeuten finden im Magazin regelmäßig Platz.
Während andere Printprodukte um das Überleben kämpfen, arbeitet die “PH”-Redaktion daran, “mit jeder Ausgabe noch origineller und schöner und ungewöhnlicher werden”, sagt Siegle; das digitale Angebot “PH+” soll ausgebaut werden. Ein Fokus liege auf gestreamten Fachgesprächen etwa zur seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen – die auf große Resonanz stießen. Für sie persönlich sei es “ein echtes Geschenk, wenn man merkt, dass man mit guten Ideen, Perspektiven und Tipps anderen weiterhelfen kann”.
Die Themen, die die Jahrzehnte gesellschaftlich geprägt haben, lassen sich laut Siegle auch an der “PH” ablesen. So sei es in den 1970er Jahren viel um Psychoanalyse und Psychiatrie-Kritik gegangen, in den 1980ern um Arbeitslosigkeit, Drogensucht oder das Aufkommen von HIV/Aids. In den 90ern lasse sich ein Fokus auf Spaßgesellschaft und Medienkritik erkennen. 1992 prangte als Illustration zu Kirchenkritik ein nackter Bischof auf dem Cover. Es hagelte Kritik – und die heutige Chefredakteurin würde das Thema heute anders gestalten, wie sie sagt.
Ab der Jahrtausendwende sei es verstärkt um den “Boom von Achtsamkeit” gegangen und um die Frage, wie der Mensch im digitalen Zeitalter zurechtkomme. Wiederkehrende Themen mit Leben zu füllen und originelle Texte dazu zu verfassen, sei angesichts dieses steten Wandels nicht schwer, sagt Siegle. Zudem habe nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt, dass auch ein Monatsmagazin auf aktuelle Entwicklungen reagieren müsse. Insofern zeigt sich die Frau mit dem roten Kurzhaarschnitt und der markanten Brille zuversichtlich für die kommenden 50 Jahre: “Auch das 100. Jubiläum zu feiern – da streben wir hin.”