Professorin: Uni als antisemitismusfreier Raum ist Illusion

Seit dem 7. Oktober grassiert Antisemitismus an Hochschulen. Jüngst sorgte ein Angriff auf einen jüdischen Studenten in Berlin für Entsetzen. Jetzt äußert sich Professorin Bernstein dazu – und über ein neues Netzwerk.

Die Professorin Julia Bernstein nennt es eine Illusion, dass „die Universität ein antisemitismusfreier Raum ist, weil die Menschen dort als aufgeklärt oder intellektuell gelten“. Von dieser Illusion müsse man sich befreien, sagte Bernstein im Interview der „Jüdischen Allgemeinen“ (Donnerstag) nach der Gründung eines neuen Netzwerks jüdischer Hochschullehrkräfte. Der Campus sei schließlich ein Mikrokosmos der Gesellschaft. „Als Hochschulangehörige sind wir etwas geschützter als Studierende und finden leichter Gehör bei der Hochschulleitung. Aber auch wir müssen viel verarbeiten.“

Auf die Frage, wie Anfeindungen aussähen, sagte Bernstein, dass das davon abhänge, „inwieweit die jüdische Identität nach außen sichtbar ist, etwa durch religiöse Symbolik“. Auch sei bei Veranstaltungen zu Antisemitismus oder Israel der Schutz durch Sicherheitsdienste oder Taschenkontrollen ein „Teil der neuen beunruhigenden Realität“ geworden. In nur wenigen Tagen hätten sich mehr als 80 Lehrkräfte in dem neuen Netzwerk organisiert.

Angesichts von grassierendem Antisemitismus an Hochschulen hatten sich Lehrkräfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu dem Netzwerk zusammengeschlossen. „Zahlreiche jüdische Studierende, Lehrende und andere Hochschulangehörige fühlen sich an ihren Hochschulen nicht mehr sicher. Einige bleiben aus Angst oder aus Sicherheitserwägungen dem Campus fern, manche können nur mit Personenschutz dort arbeiten“, hieß es dazu. „Viele verbergen ihre jüdische Identität und trauen sich angesichts der massiven antiisraelischen Proteste nicht mehr, ihre Meinung frei zu äußern.“

Um dem entgegenzutreten und jüdischen Hochschullehrkräften ein Forum, eine Stimme und die Möglichkeit für gemeinsames Auftreten zu geben, hätten sie sich Ende vergangenen Jahres aus allen Fachrichtungen an Universitäten und Hochschulen zusammengefunden. Man wolle gerne auch mit der Hochschulrektorenkonferenz zusammenarbeiten, hieß es.

Zu den Zielen des Netzwerks gehört den Angaben zufolge, dass ein Bewusstsein für grassierenden Antisemitismus, insbesondere den israelbezogenen Antisemitismus, an Hochschulen geschaffen wird. Auch sollten mit den Leitungen von Hochschulen „effektive Konzepte“ zum Kampf gegen Judenhass erarbeitet werden. Darüber hinaus sollen hochschulübergreifende Veranstaltungen und Studien gefördert und organisiert werden, „die Themen des jüdischen Lebens, der jüdischen Identitäten und der Analyse und Bekämpfung des Antisemitismus betreffen“.