Premiere von “Joker: Folie a Deux” beim Filmfestival in Venedig
Mit “Joker” gewann Todd Phillips 2019 den Goldenen Löwen. Nun tritt er erneut an in Venedig mit der Fortsetzung. Aus dem Stoff um den “Batman”-Schurken wird ein Musical, eine abgründige Love-Story und ein Gerichts-Drama.
“White Male Rage: The Movie”: So ungefähr hatte eine US-Komikerin den 2019 erschienenen Film “Joker” von Todd Phillips etwas despektierlich, aber nicht ganz unpassend auf den Punkt gebracht. Was aber wird aus diesem Weiße-Männer-Zorn, wenn eine Frau und die Liebe ins Spiel kommen? Keine Fortsetzung dürfte 2024 mit so viel Spannung erwartet worden sein wie die um den “Batman”-Widersacher, dem als “Folie a deux” (“gemeinsame psychotische Störung”) seine Partnerin in Crime Harley Quinn an die Seite gestellt wird.
“Joker” erzählte von der durch Leid und Demütigungen getriggerten Transformation des erfolglosen Clowns und Möchtegern-Comedians Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) zur kriminellen Ikone Joker, die in der sozial maroden Metropole Gotham City für die unterprivilegierten Massen zum umjubelten Maskottchen ihrer Umsturzträume avanciert.
Der Film zeigte zwar deutlich die Erbärmlichkeit hinter der Clownsmaske, um die Gewalt nicht als heroischen Akt, sondern als blindwütiges Um-sich-Schlagen erscheinen zu lassen. Trotzdem wurde der Vorwurf laut, dass sich Todd Philips zu sehr mit seinem Antihelden gemein mache, und den aufgewiegelten Massen, deren motivische Parallelen zum realen rechtspopulistischen Anti-Establishment-Furor völlig beabsichtigt waren.
Mittlerweile ist es fünf Jahre und einen Sturm aufs US-Kapitol – quasi: White Male Rage als Realität – später. Er sei bei der Präsentation in Venedig nervöser als bei der Premiere des ersten Teils gewesen, gestand Regisseur Todd Phillips. Das kann man nachvollziehen: Der Erwartungsdruck ist nach dem Erfolg von “Joker” und erst recht nach den Debatten darum um einiges größer, als er es 2019 war. Und das politische Klima in den USA ist angesichts der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl um einiges brisanter, da Extremisten des Trump-Lagers schon angekündigt haben, eine potenzielle Niederlage ihres Kandidaten auf keinen Fall zu akzeptieren.
Was “Joker: Folie a Deux” ganz entschieden nicht tut, ist, der dramaturgischen Logik der Superhelden-Sagas zu folgen. Auf die Originalstory der Titelfigur, die in “Joker” darin gipfelte, dass Arthur Fleck vor laufenden Kameras den Comedian Murray Franklin (Robert De Niro) erschoss und im Arkham Asylum in der Abteilung für kriminelle Geistesgestörte landete, folgt nun nicht der “Rise of the Joker”, in dessen Verlauf die Figur ihre Position als Schrecken von Gotham City zu dem ausbaut, was man aus den “Batman”-Comics kennt.
Zuschauer, die mit mehr Action, mehr Joker-Scharmützeln gegen die Institutionen und die Reichen und Mächtigen von Gotham rechnen oder auf Schützenhilfe durch Harley Quinn hoffen, werden mit “Folie a Deux” nicht glücklich werden.
Der Film ist ein Comic-Kammerspiel, das größtenteils in wenigen Innenräumen spielt: der Anstalt, in der der Joker einsitzt, während er darauf wartet, dass ihm für seine Morde der Prozess gemacht wird, und der Gerichtssaal, in dem dieser Prozess ausgetragen wird. Die damit ins Spiel kommenden Genreelemente des Gefängnisfilms und des Courtroom-Dramas werden so mit Musicalelementen amalgiert, als sei dies eine Broadway-Show oder ein alter MGM-Film aus den 1950er-Jahren.
“The clown with his pants falling down / Or the dance that’s a dream of romance / Or the scene where the villain is mean / That’s entertainment!”: Der alte Song aus dem Fred-Astaire-Film “The Band Wagon” ist Teil des Soundtracks, zusammen mit Frank-Sinatra-Hits und vielen anderen Musical-Evergreens. Harley Quinn (Lady Gaga) spielt dabei eine stimmgewaltige Schlüsselrolle, die aber ganz und gar nicht darin aufgeht, das Schützenhilfe gebende Liebesobjekt zu sein, sondern sich als etwas wesentlich Abgründigeres herausstellt.
Den Auftakt macht eine Animationspassage, in der der Joker im Stil eines alten Cartoons gegen seinen eigenen heimtückischen Schatten antritt. Eine Andeutung darauf, dass der Antagonist, an dem sich Arthur Fleck diesmal abarbeiten muss, nicht jemand ist wie der reiche Thomas Wayne und der Comedian Murray Franklin im ersten Teil, sondern er selbst.
Das erste Drittel von “Joker: Folie a Deux” scheint dies dann aber zunächst zu konterkarieren und durchaus Ähnliches wie der Vorgängerfilm zu erzählen, wenngleich mit anderen Genremitteln. Im Gefängnis ist Arthur, den Joaquin Phoenix erneut mit steinerweichender Schmächtigkeit verkörpert, der Underdog und Schmerzensmann, der unter elenden Bedingungen vor sich hin vegetiert und von Stärkeren schikaniert wird.
Dann entzündet die Begegnung mit einer Frau, die sich Lee nennt, später aber als Harley Quinn entpuppt und ebenfalls als Patientin der Irrenanstalt eingeführt wird, einen neuen Joker-Funken in der Asche von Arthur Fleck. Doch die in surrealen Bühnennummern sich entspinnende Liebe zwischen den beiden läuft nicht darauf hinaus, das neu erstarkende Joker-Potenzial von Arthur schräg-romantisch aufzuladen und die gemeinsamen Ausbruchsfantasien in die Tat umzusetzen.
Lee entpuppt sich vielmehr als Möchtegern-Königsmacherin, die Arthur anspornt, seinen bevorstehenden Prozess als Bühne zu nutzen, um als Joker von dieser öffentlichen Plattform aus seine Anhänger anzufeuern, mit der Revolution Ernst zu machen.
Der Schreck, den der Sturm auf das US-Kapitol ausgelöst hat, scheint den “Joker”-Machern noch in den Gliedern zu sitzen. Jedenfalls verzichten sie darauf, mit Massenszenen oder dem in den Straßen ausbrechenden Chaos beim Amoklauf des Mobs zu wuchern. Stattdessen wird Harley Quinn zu einer Stellvertreterfigur, die den kollektiven Frust und die Sehnsucht nach dem Joker als Führerfigur in ihrer verheerenden und für Arthur Fleck potenziell tödlichen Liebesgeschichte kanalisiert – denn sollte er ihr Begehren erfüllen, könnte das fatale Folgen für seine Verteidigung vor Gericht haben.
Als Gegenfigur zu Harley Quinn bringt der Film denn auch Arthurs Anwältin (Catherine Keener) in Stellung, die den gebrochenen menschlichen Kern hinter der Clownsmaske im Blick hat und hofft, Arthur vor einem Todesurteil zu bewahren, indem sie beweist, dass er psychisch krank ist.
Die Musical-Szenen, die Joachim Phoenix und Lady Gaga reichlich bestreiten, wirken zunächst spielerisch, entfalten im Lauf des Films aber immer mehr etwas Grausiges. Sie werden zu Metaphern der politischen Kultur einer gespaltenen Gesellschaft, in der Sachargumente nichts und Emotionen und Entertainment alles sind. Bis gegen Ende Arthur selbst seine Liebste anfleht, doch bitte, bitte mit dem Singen aufzuhören: “We need to talk!”.