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Preisgekröntes Schülerprojekt zeigt jüdische Geschichte Passaus

Als Schüler ist Omid Babakhan oft an dem alten Geschäftshaus in Passau vorbeigegangen. Er fragte sich, warum es so groß ist, erzählt er. Im Erdgeschoss ist eine Filiale untergebracht, die oberen Stockwerke aber sind nicht bewohnt. Heute weiß Omid, dass es Anfang des 20. Jahrhunderts der jüdischen Familie Bernheim gehörte, einer der bedeutendsten jüdischen Kaufmannsfamilien der Stadt. Ein Hinweisschild auf den historischen Ort sucht man vergebens. „Viele Gassen und Straßen der Altstadt haben eine jüdische Geschichte. Dafür sollte ein Bewusstsein geschaffen werden“, sagt Omid. Auf offene Ohren trifft er damit in der Stadtspitze nicht.

Omid kennt die Geschichte des Hauses, weil er zum P-Seminar des Passauer Gymnasiums Leopoldinum gehörte, das in den Jahren 2022 bis 2024 ein Projekt über jüdisches Leben in Passau entwickelte. In vier Stationen haben 16 junge Leute die Geschichte der Passauer Juden im Mittelalter, die der Kaufmannsfamilien Bernheim und Hartl zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die von jüdischen „Displaced Persons“ im Camp Pocking (1946-1950) zusammengetragen.

Dafür haben die Schüler unter anderem auch Zeitzeugen aus Kanada und Israel interviewt. „Da waren plötzlich nicht nur Fakten, sondern es waren Menschen, die betroffen waren und die es längst verdient hätten, gehört zu werden“, sagt Laura Röckl. Die Schülerin hat die Autorin und Dokumentarfilmerin Gina Roitman in Kanada kontaktiert, die 1948 im Passauer Säuglingsheim geboren wurde und ihre ersten Lebensmonate als „Displaced Person“ in Pocking-Waldstadt verbrachte. Auch Mirjam Griver aus Israel, ebenfalls eine wichtige Zeitzeugin, wurde für das Projekt befragt. Ihr Vater war Rabbiner in dem DP-Lager.

Die P-Seminaristen entwickelten eine Webseite mit interaktivem Stadtplan, die man mithilfe von QR-Codes auf dem Handy aufrufen kann. Zum ersten Mal können dort die Zeitzeugen-Interviews als Video, historische Informationen und Zeitdokumente zum Thema abgerufen werden. Sie nannten das Projekt „Jüdisch to go“. Die Idee dahinter: An den historischen Orten in der Stadt kleine Tafeln mit den QR-Codes anbringen. Damit wäre ein Gang durch die jüdische Geschichte Passaus möglich.

Am Holocaust-Gedenktag 2024 präsentierten die P-Seminaristen ihre Ergebnisse zum ersten Mal öffentlich – mit viel Lob der Stadtspitze. Anfang Juli dieses Jahres wurde das Projekt sogar in Nürnberg mit dem Studienpreis des Vereins „Begegnung Christen und Juden“ (BCJ) der bayerischen evangelischen Landeskirche ausgezeichnet. „Das Projekt setzt nicht nur in inhaltlicher und technischer Hinsicht Standards, was die Quellenarbeit angeht, sondern erfüllt auch wissenschaftliche Ansprüche“, sagt der Passauer evangelische Dekan Jochen Wilde. Dass sich die jungen Leute für eine gelebte Erinnerungskultur einsetzen, finde er „wunderbar“.

Initiiert hatte das Projekt die inzwischen pensionierte evangelische Religionslehrerin Antje Spielberger. Sie und ihre Schüler wollen das Projekt aus dem schulischen Kontext in den öffentlichen Raum überführen, sagt sie. Anfragen an die Stadt habe es gegeben, doch diese seien ohne Ergebnis geblieben. In einer Antwort der Stadt habe es lediglich einmal geheißen, dass dies „nicht zweckdienlich“ sei, zitiert Spielberger. Auch eine Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) dazu blieb unbeantwortet.

Die Nicht-Reaktion der Stadt bleibt für Spielberger „ohne Begründung“. Beim P-Seminar seien auch „keine neuen Erkenntnisse“ erarbeitet worden, sondern das, „was wissenschaftlich vorlag, wurde so bearbeitet, dass es der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann“. Es sei auch niemand angeklagt oder Staub aufgewirbelt worden wie vor 40 Jahren, als die Autorin Anna Rosmus über die Passauer NS-Zeit schrieb und wegen ihrer Recherchen sogar Morddrohungen erhielt.

„Es ist ein lohnendes Projekt, das der Stadt gut zu Gesicht stehen würde“, sagt Dekan Wilde, der weiterhin auf die Stadt zugehen möchte. Auf seine Einladung hin hat sich jetzt ein Initiativkreis gegründet, um mit einem „Weg der Erinnerung“ die Erinnerungskultur in der Stadt neu zu beleben. Das Schülerprojekt sei eine ideale Plattform, um auch weitere Stationen einzubeziehen, wie die Römerzeit oder die Zeit der Grenzöffnung vor 36 Jahren, findet der Initiativkreis.

Auch Omid und Laura engagieren sich weiter für das Projekt, obwohl beide inzwischen studieren. „Das Projekt ist noch nicht fertig. Es ist erst der Anfang einer Erinnerungskultur, die aktiv weitergepflegt und nächsten Schülerjahrgängen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden muss“, sagt Omid. Unterstützt wird das Projekt auch von der Israelitischen Kultusgemeinde Niederbayern mit Sitz in Straubing. (2381/21.07.2025)