“La Mesias”: Vielschichtiges Arte-Drama über Glaube und Missbrauch
Arte-Miniserie um eine katholische Mädchengesangsgruppe, die mit ihren frommen Musikvideos viral geht und bei zwei Geschwistern überwunden geglaubte Bindungen an ihre religiöse Mutter wachrufen.
Es ist ein an sich harmloses Musikvideo, das das Leben von Enric (Roger Casamajor) ins Wanken bringt. Eine katholische Girl Group namens “Stella Maris” hat einen Clip online gestellt, der in den Sozialen Medien viral geht. Viele Menschen machen sich über den musikalischen Glaubenskitsch lustig, doch bei Enric ruft er einen Strudel schmerzhafter Erinnerungen wach. Denn die sechs jungen Frauen, die da singen und tanzen, sind seine Halbschwestern. Enric hat sie und ihre gemeinsame Mutter einst verlassen, um dem Zwangsregime zu entkommen, das die Mutter der Familie aufzwang.
Einst hatte sie als Sexarbeiterin versucht, genügend Geld für sich und ihre Kinder zu verdienen, dann aber einen exzessiven Glaubensweg eingeschlagen. Sie ist überzeugt davon, eine Auserwählte zu sein, ein Medium, durch das Gott zu den Menschen spricht. Zu ihrer Mission gehörte es, ihre Kinder mit strenger Moral, asketischer Disziplin und psychischer Gewalt in ein enges Korsett einzuzwängen. Keines von ihnen durfte die Schule besuchen oder das Grundstück verlassen.
“La Mesías”: Religiöse Überzeugungen und ihr Missbrauch
Als Heranwachsender hielt Enric das nicht mehr aus. Ihm gelang die Flucht, ebenso seiner Schwester Irene (Macarena García). Als Mittvierziger plagt beide nun, konfrontiert mit den Halbschwestern, das schlechte Gewissen. Die lang verdrängte Kindheit kommt wieder an die Oberfläche.
Es sind harte Themen rund um religiöse Überzeugungen und ihren Missbrauch, die in der achtteiligen spanischen Miniserie “La Mesías” thematisiert werden: Wo verläuft die Grenze zwischen Glauben und Zwang? Kann es eine Erlösung vom Versprechen auf Erlösung geben?
Religion und Glaube werden nicht verteufelt
Diese und ähnliche Fragen wiegen schwer. Leichte Abendunterhaltung bietet die großartige Serie des Regieduos Javier Ambrossi und Javier Calvo daher nicht. Das liegt vor allem daran, dass es keine einfachen Lösungen gibt. Religion und Glaube werden aber nicht verteufelt. Vielmehr sehen die Serienmacher hinter den spirituellen Praktiken eine existentielle Sehnsucht nach Halt und Geborgenheit, die ungemein verletzlich macht – und anfällig für Manipulation und Machtmissbrauch.
In der intensiven Miniserie entfalten die Bilder einen dunklen Sog. Und vor allem durch die vielschichtigen Figuren und eine differenzierte, Ambivalenzen zulassende Perspektive auf Glauben, religiöse Praktiken und Heilssehnsucht regt “La Mesias” auch zum Nachdenken an.
Die Arte-Mediathek zeigt die Serie “La Mesias” im spanischen Original, zu dem deutsche und französische Untertitel verfügbar sind.