Poesie zur Pandemie

Was hat Corona mit uns gemacht? Damit beschäftigt sich Safiye Can in ihrem Gedichtband „Poesie und Pandemie“ – das ist konkret und visuell.

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Noch sind wir alle mittendrin in der – für die meisten von uns – ersten Pandemie unseres Lebens. Doch Safiye Can hat bereits in Gedichte gegossen, was das Corona­virus mit uns gemacht hat. In „Poesie und Pandemie“ entfaltet das titel­gebende Langgedicht ein surreales Szenario, das zutiefst erschreckt – weil wir einen Albtraum wiedererkennen als unsere eigene Wirklichkeit.

Doch wer ist eigentlich dieses „Wir“, von dem das Gedicht spricht? „Wir haben in diesem Jahr gelernt/dass der Notstand über Nacht kommt/unangemeldet/plötzlich da ist“ – das können wir wohl alle unterschreiben. Aber wie steht es mit den folgenden Versen: „Wir haben in diesem Jahr gelernt/dass jedes Vergehen, jede Tierquälerei/jede Untat und Ungerechtigkeit/jeder Krieg, selbst die am Ende der Welt/sich immer, bei jedem von uns/rächen­ wird.“ Unterschreiben wir sie – und werden wir danach handeln?

Wie im Lockdown

Beim Lesen des Langgedichts sind die Gefühle im Lockdown wieder präsent. Einsamkeit und Quarantäne. Was plötzlich wichtig wurde und was so dringend fehlte. Wir erinnern uns an eine aufatmende Natur ohne Menschen: „In Japan wagten sich Hirsche tief in die Städte.“ An Leichname in Kühllastern, an Gräberfelder. An Kranke, die allein sterben mussten, ohne ihre Liebsten noch einmal sehen zu dürfen. All das holt Safiye Can aus dem kollektiven Gedächtnis hervor.

Der zerstörerische Umgang des Menschen mit der Natur und der Tierwelt ist ein zentrales Thema, in diesen Zusammenhang stellt sie die Corona-Pandemie. Darauf weist schon das Cover des Buches hin: Eine menschliche Gestalt, auf dem Kopf trägt sie eine üppige Rose als Hut, im Zentrum der Blüte nistet ein Coronavirus. Der Körper ist ein Baum, kahl ragen die Äste in den nachtblauen Himmel. Bilder von schwarzverbrannten oder in der Dürre abgestorbenen Wäldern steigen auf.

Can fordert in klarer, kraftvoller Sprache konkretes Handeln von uns als Folge dessen, was wir aus Corona gelernt und „hoffentlich verstanden“ haben. Sie bezieht Stellung gegen Rassismus und Frauenhass.

Die Sinne geschärft

In „Wir gehören zusammen“ findet das Hanauer Attentat, bei dem am 19. Februar 2020 ein Rechtsextremist neun Hanauer mit Einwanderungsgeschichte tötete, seinen Niederschlag. Als Eingangsgedicht setzt es den politischen Ton und führt mit den Mitteln der Poesie die These vom Einzeltäter ad absurdum.

Safiye Can lebt in der Nachbarstadt Offenbach. Sie ist dort geboren, ihre tscherkessischen Eltern wanderten einst aus der Türkei nach Deutschland ein. Das hat ihre Sinne geschärft für Fremdheitserfahrungen und Ungerechtigkeit.

Sie fordert Frauen auf, sich gegen Diskriminierung und Gewalt zu wehren: „Frauen/schließt euch zusammen/bildet eine Faust/werdet laut!“ Es scheint, als sei gerade nicht die Zeit der leisen poetischen Zwischentöne – nur in den Liebes­gedichten klingen sie an.

Konkrete und visuelle Poesie ist seit dem ersten, sehr erfolgreichen Gedichtband „Rose und Nachtigall“ – 2014 erschienen bei Größenwahn/Frankfurt – Teil ihres Schaffens. In dem Gedichtband „Poesie und Pandemie“ mit acht zum Teil farbigen Abbildungen öffnen kunstvolle Collagen Assoziationsräume über die Wortkunst hinaus.

Safiye Can: Poesie und Pandemie.
Wallstein Verlag 2021, 96 Seiten,
8 zum Teil farbige Abbildungen, 18 Euro.

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