Pinakothek der Moderne widmet sich der abstrakten Kunst

Unter “Sammlung+” präsentiert die Pinakothek der Moderne seit 2019 Werke aus ihrem Bestand. Neuerwerbungen, Entdeckungen und thematische Schwerpunkte machen die Vielfalt deutlich. Dieses Mal geht es um die Abstraktion.

Sechs Ausstellungen – sechs Wege: Unter dem Titel “Walk the Line” zeigt die Münchner Pinakothek der Moderne bis 8. September völlig unterschiedliche Strategien von Kunstschaffenden. Ihnen allen ging es darum, mit ausdrucksstarken Linien, gestischer Malerei und verschiedenen Materialien Wege in die Abstraktion zu finden. Vor allem aber wollten sie Grenzen überschreiten.

Es war Wassily Kandinsky, der in München zu Beginn des 20. Jahrhunderts das erste abstrakte Bild malte: eine Entwicklung, die nicht selbstverständlich war und immer wieder neu erprobt werden musste. Das wird deutlich an der Generation der Nachkriegs-Künstler in den 1950er-Jahren, von denen viele damals in München lebten. Egal ob Malerei oder Zeichnung, Skulptur oder Fotografie: Es sind immer Gratwanderungen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Der erste Saal dieser klug konzipierten und erhellenden Schau ist dem Münchner Galeristen Otto van de Loo zum 100. Geburtstag gewidmet. In seiner 1957 eröffneten Galerie engagierte er sich für eine Kunst, deren Bildsprache spielerisch und deren provokante Stilmittel gegen eine allzu glatte Ästhetik gerichtet waren. Dafür stand vor allem die Künstlergruppe SPUR (Lothar Fischer, Heimrad Prem, Helmut Sturm und HP Zimmer), die im gleichen Jahr gegründet und ein Schwerpunkt der Galerie wurde.

Eine wichtige Rolle spielte der Däne Asger Jorn, der bei van de Loo damals ein Gast-Atelier hatte. Jorn rief nicht nur mehrere Künstlergruppen (wie etwa “COBRA”) ins Leben, sondern stellte europäische und internationale Verbindungen her. Ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit war das 1970 gegründete Kinderforum van de Loo, das bis heute mit einem umfangreichen Programm freie Kreativität fördert. Van de Loo verstand die Kunst als Möglichkeit, das Wesenhafte des menschlichen Daseins zu fördern und so das Fundament für eine offene Gesellschaft zu schaffen.

Nicht minder international orientiert war die 1949 in München gegründete Künstlergruppe ZEN, zu der unter anderen Willi Baumeister, Rupprecht Geiger und Fritz Winter gehörten. Ihr Ziel war, nicht-gegenständliche Kunst einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Der Name leitete sich vom Zen-Buddhismus ab, den sie in seiner intuitiven Innenschau als Sinnbild einer freien Bildfindung verstanden. Dabei knüpften sie an die Prinzipien der Vorkriegsmoderne und das von Kandinsky formulierte “Geistige in der Kunst” an: mit befreiten Farben, fließenden und schwebenden Formen und ungewöhnlichen Formaten.

In Japan hatte sich nach 1945 die Künstlergruppe “Gutai” (deutsch für “konkret, spontan, direkt”) gebildet. Sie gilt als eine der innovativsten Bewegungen des 20. Jahrhunderts, wollte auch über die Abstraktion hinausgehen und auf reine Kreativität setzen. Weiter zu sehen sind Arbeiten von Hans Hartung, einem der wichtigsten Vertreter des Informel und der lyrischen Abstraktion. Er behandelte Themen wie den Anfang und Ende einer Linie, die er vor allem als Ausdruck einer pulsierenden Energie verstand.

Präsentiert werden zudem Fotografien. Unter dem Titel “Wind, Sand und Wasser” sind Arbeiten des Künstlers, Kirchenmusikers, Kunstpädagogen und Kulturfilmers Alfred Ehrhardt zu sehen. In der Kurischen Nehrung wurde ihm die Wattlandschaft zum Hauptmotiv einer modernen Bildsprache. Seine faszinierenden Schwarzweiß-Fotos vom Küstenstreifen, von Kristallen oder Muscheln lassen sein spezielles Naturverständnis erkennen: dass in allen Erscheinungen der Schöpfung eine Urkraft wirkt.

Die fotografischen Abstraktionen im letzten Raum spielen mit der menschlichen Wahrnehmung: Sie sind undeutlich und verschwommen, offen für unterschiedliche Interpretationen. Die Aufnahmen einer verlassenen Fabrikanlage von Geraldine Fritsch etwa verrätseln das Sichtbare. Und die Fotos aus Island von Magdalene Jetelova zeigen die Absurdität von Grenzziehungen: Mit einem Laserstrahl zeichnet sie die mittelatlantische Zone nach, in der sich vor Jahrmillionen die nordamerikanische Platte von der eurasischen entfernt hatte. Diese Linien führen buchstäblich ins Nirgendwo.