Der isländische Pianist Vikingur Olafsson ist auf den Bühnen der Welt zu Hause. Warum er vor allem die Musik von Johann Sebastian Bach liebt und nichts von Bildschirmzeit in der Schule hält.
Vikingur Olafsson (41), isländischer Pianist, ist davon überzeugt, dass klassische Musik eine Lebenshilfe sein kann. “Die Welt ist heute voller Lärm. Ständige Ablenkungen, ständige Benachrichtigungen über nichts und wieder nichts”, sagte Olafsson dem “Süddeutsche Zeitung Magazin”. Was die Menschen bräuchten, sei Zeit für sich selbst und Raum zum Nachdenken. “Klassische Musik gibt uns die Möglichkeit, bei uns selbst zu sein, unser Leben zu reflektieren, unser ganzes Wesen in diesen alten Klängen zu spiegeln.”
Nach Auffassung des Musikers hat sich das Gefühlsleben in den vergangenen 300 Jahren kein bisschen verändert. “In der Geschichte der Menschheit ist das schließlich nur ein kurzer Zeitraum – Bach ist bloß ein paar Großmütter von uns entfernt.” Deshalb könne klassische Musik auf einer grundlegenden Ebene berühren und den Menschen helfen, sich besser zu verstehen.
Kritisch sieht Olafsson die digitale Entwicklung. Sein Sohn habe in der ersten Klasse in Reykjavik eine Unterrichtseinheit mit dem Titel “Leben als digitaler Bürger” gehabt. Daraufhin habe er der Schule gegenüber deutlich gemacht: “Ich möchte überhaupt nicht, dass er digitaler Bürger wird. Ich möchte nicht einmal, dass er Bildschirmzeit bekommt. Wir stehlen unseren Kindern die freie, spielerische Kindheit, so wie ich eine hatte, und setzen sie stattdessen vor den Bildschirm.”
Eine solche Entwicklung in der Bildung müsse aufgehalten werden. Musik könne dabei helfen, sagte der Pianist. “Wenn mein Sohn Klavier spielt, ist er ganz bei sich und lernt nicht nur die Noten, sondern auch seine eigenen Gefühle kennen.” Durch Musik könne man Mitgefühl, emotionale Intelligenz und analytisches Denken lernen – Kinder ebenso wie Erwachsene.
Als Musiker habe er außerdem nach und nach immer stärker die Erfahrung gemacht, dass er mit seinem Spiel etwas mitzuteilen habe, sagte der isländische Künstler. “Ich glaubte an die Botschaft. In diesem Sinne hat mir Bach am meisten geholfen. Weil Bach einem die großartigsten Noten gibt, aber nur sehr wenige Informationen darüber, wie man sie spielen soll.” Man könne sich nicht hinter ihm verstecken, sondern müsse das Werk gemeinsam mit ihm erschaffen. Das sei ein Grund, warum er so viel Bach spiele: “Es fördert meine Kreativität.”