Pfingsten: Wenn die Gnadengaben wirken

Pfingsten wird in der Bibel als Ausgießung des Heiligen Geistes beschrieben, der die Menschen erfüllt. In Pfingstgemeinden steht das Wirken von Gottes Geist in den Menschen bis heute im Fokus.

Geste der Hingabe und Erfüllung: In vielen Gottesdiensten der Pfingstbewegung wird mit erhobenen Armen gebetet und gesungen.
Geste der Hingabe und Erfüllung: In vielen Gottesdiensten der Pfingstbewegung wird mit erhobenen Armen gebetet und gesungen.tutye

Wenn der Heilige Geist wirkt, gibt es kein Halten: Frauen und Männer geraten außer sich. Sie springen von ihren Plätzen und reißen die Arme gen Himmel. Gebete in der eigenen und in fremden Sprachen schwirren durch den Raum.

So das Klischee über Pfingstgemeinden, das durch Medienberichte – überwiegend aus anderen Kontinenten – immer wieder bestätigt wird. In Deutschland dagegen sind solche Bilder rar geworden. „Hier geht der Trend seit etwa zehn Jahren in eine andere Richtung“, sagt Lothar Triebel, Spezialist für Freikirchen am Konfessionskundlichen Institut in Bensheim. „Gottesdienste gelten als missionarische Gelegenheiten, und darum vermeidet man Elemente, die verstörend wirken könnten.“

Durchgetaktet statt spontan

Die spontanen Äußerungen, die dem Heiligen Geist zugeschrieben wurden, seien einer durchgetakteten Choreographie gewichen, erklärt der Theologe. „Es gibt allerdings auch Kritiker, die in dieser Form keine Chance mehr für das Wirken des Geistes sehen.“

Matthias C. Wolff, Pastor der pfingstlerisch geprägten Elim-Gemeinde in Hamburg, die in den 1920er Jahren gegründet wurde, kann das bestätigen. Zungenrede oder Prophezeiungen mit göttlichem Anspruch, die früher als Ausdruck für besondere Geist-Begabung galten, findet man in seiner Gemeinde in den öffentlichen, auch im Internet übertragenen Gottesdiensten nicht, erzählt Wolff. „Für uns ist es ein wichtiges Kriterium, dass Gottesdienstbesucher, die zum ersten Mal bei uns sind, die Botschaft verstehen können. Das ist ja auch ganz im Sinne des Paulus.“

Und so zeigen Youtube-Videos von Gottesdiensten der Elim-Gemeinde zwar Menschen, die bei Lobpreis-Gesängen mit erhobenen Armen ganz mitgehen, aber zumindest äußerlich unterscheidet sich das nicht von Jugendgottesdiensten, wie man sie häufig auch in landeskirchlichen Gemeinden findet.

Beim Fürbittengebet legen die Gemeindeglieder einander gegenseitig die Hände auf.

Das heißt jedoch nicht, dass man in der Elim-Gemeinde den Glauben an die besondere Kraft des Heiligen Geistes aufgegeben hätte. Ganz im Gegenteil: Nach wie vor spielen die Gnadengaben des Geistes eine große Rolle, die der Apostel Paulus aufzählt (1. Korinther 12,8-10; 28-31): Zungenrede und prophetische Rede, Leiten, Helfen, Wunder tun und Heilen.

„Wir rechnen jederzeit damit, dass der Heilige Geist in unserem Leben wirkt. Das unterscheidet uns sicher von den meisten landeskirchlichen Gemeinden“, sagt Matthias Wolff. „Wir sind grundsätzlich davon überzeugt, dass jeder Mensch solche besonderen Gaben hat, und ermutigen unsere Gemeindeglieder dazu, sie zu entdecken und einzusetzen.“

Dabei sei man nicht auf so spektakuläre Fähigkeiten wie Prophezeiungen oder Dämonenaustreibung fixiert. „Jede Fähigkeit, die jemand einbringt, ist für uns eine Gabe des Geistes.“ Eine Hierarchie gebe es nicht, betont Wolff; auch hier halte man es mit Paulus: Im Sinne Gottes ist das, was erbaut – „und wir sagen unseren Leuten: Du baust mit.“

Schon im Alten Testament wird der Geist Gottes – hebräisch ruach – als eine Kraft verstanden, die sich bewegt und in Bewegung setzt. Im Neuen Testament und der weiteren Entwicklung der christlichen Theologie wurde daraus neben Gott, dem Vater und Gott, dem Sohn, die dritte Person der Trinität.

Umstritten von Anfang an

Allerdings gab es von Anfang an Streit darum, welche Rolle diesem Heiligen Geist eigentlich zukommt. Schon Paulus warnt in seinen Briefen mehrfach vor überbordender „Begeisterung“. Dabei sieht er Gnadengaben – nach dem griechischen Begriff auch „Charismen“ genannt – grundsätzlich positiv; sie dürfen nur nicht in einen religiösen Leistungswettbewerb ausarten, sondern sollen anderen und der Gemeinde insgesamt nützen.

In späteren Jahrhunderten, als die Kirche sich um eine systematische Klärung des Verhältnisses von Vater, Sohn und Heiligem Geist bemühte, gab es neue Konflikte. Es ging vor allem um die Frage, ob alle drei Personen gleich göttlich sind und ob es unter ihnen eine Hierarchie gibt. Schließlich setzte sich im Konzil von Chalcedon 451 n. Chr. die Partei durch, die für die Gleichartigkeit und -wertigkeit gefochten hatte.

Im Laufe der Jahrhunderte hatten Aufbrüche, die sich auf den Heiligen Geist beriefen, oft eine kirchenkritische Komponente: Sie begehrten gegen erstarrte Hierarchien und Frömmigkeitsformen auf und setzten Dinge neu in Bewegung. Zu solchen Aufbrüchen zählt etwa der Methodismus, der im 18. Jahrhundert in England entstand. Die Pfingstbewegung im engeren Sinn, die zu den Pfingstkirchen führte, die bis heute bestehen, hatte ihren Ausgangspunkt im Jahr 1906, als in einem Gottesdienst in Los Angeles Phänomene wie Zungengebet, Heilungen und Prophetie auftraten, die an das erste Pfingsten in Jerusalem erinnerten.

Von den USA breitete sich diese spezielle Erweckungsbewegung weltweit aus, wobei sie sich immer wieder veränderte und sich mit anderen evangelikalen und charismatischen Bewegungen überschnitt. Wichtige Merkmale sind ein wörtliches Bibelverständnis und die Erwachsenentaufe, auch „Glaubens­taufe“ genannt. Ab den 1970er Jahren erreichte sie als „Neocharismatische Bewegung“ vor allem Länder des globalen Südens. In Ghana etwa zählen sich aktuell knapp 30 Prozent der Bevölkerung zur Pfingstbewegung, in Brasilien sind es rund 15 Prozent.

Die Sehnsucht nach Lebendigkeit

„Bei uns ist der Schwung der ersten Jahre etwas zurückgegangen“, sagt Matthias Wolff von der Hamburger Elim-Gemeinde. Trotzdem erlebe er eine Sehnsucht danach, den Geist lebendig zu spüren. So hat das Zungengebet nach wie vor seinen Platz im Gemeindeleben – nur eben nicht in der großen Öffentlichkeit, sondern eher in Kleingruppen oder auf Freizeiten. Auch mit der Heilung durch den Heiligen Geist rechnen die Gläubigen in der Elim-Gemeinde: Dafür wird nach dem Gottesdienst oder auch in besonderen Kreisen gebetet. „Es gibt Menschen, die für diese Form des Betens ein Herz und eine besondere Begabung haben“, ist Matthias Wolff überzeugt. „Natürlich ist Heilung unverfügbar, aber wir erleben immer wieder, dass Betroffene dadurch Linderung erfahren oder sogar geheilt werden.“

Der Heilige Geist im Alltag

Auch Bekehrungen kämen immer wieder vor – Wolff beschreibt das als die bewusste Entscheidung, sich taufen zu lassen und den Lebensstil radikal zu ändern. Wobei Mitglieder aus anderen Kulturkreisen das durchaus unterschiedlich erlebten, wie er erzählt: „Es gibt bei uns auch Menschen, für die dämonische Mächte eine Realität sind und die sich befreit fühlen, wenn sie den Namen Jesu anrufen“, erzählt er. „Das müssen wir so stehenlassen.“

Aber nicht nur für außergewöhnliche Lebensumstände, sondern auch für den Alltag spielt der Heilige Geist in der Elim-Gemeinde eine große Rolle. „Wenn wir Menschen ermutigen, sich Gott zur Verfügung zu stellen, muss niemand das aus eigener Kraft schaffen“, sagt Wolff. „Wir glauben ganz aktiv, dass der Geist uns leitet und dass Christus durch ihn in uns lebt. Und wir versuchen, die Leute herauszufordern, ein Leben nach dem Vorbild Jesu zu führen.“ Um sich dessen auch sinnlich zu vergewissern, kämen viele Gemeindeglieder nach dem Gottesdienst, um sich die Hände auflegen und segnen, manchmal auch salben zu lassen.

„Christsein ist eine lebendige Beziehung zu Jesus“, sagt Matthias Wolff zum Schluss. Sein Appell: den Heiligen Geist nicht nur in Sonntagspredigten erwähnen, sondern mit seiner Wirklichkeit zu rechnen. „Wir westlichen Kirchen können da einen Schubs gut gebrauchen.“