Artikel teilen:

Pfarrerin im Punkte-Kleid

Was macht der Talar mit der Frau, die ihn trägt? Pfarrerin Annina Ligniez zeigt in einem Internet-Kunstprojekt, welche Verwandlung da passiert – und denkt auch sonst viel über ihre Rolle nach

Annina Ligniez trägt ein blaues Punktekleid im 50er-Jahre-Stil. Dazu einen roten Gürtel, passenden Lippenstift und Pumps mit Absatz. „In Ostwestfalen auf dem Land falle ich als Pfarrerin damit schon auf“, erklärt sie lachend. Ihren Vorstellungsgottesdienst in der Kirchengemeinde Enger absolvierte sie im rosa Petticoat-Kleid mit High Heels. „Einige waren überrascht über mein Äußeres, und manche sind es bis heute“, sagt die 42-Jährige. „Aber nach meinen ersten Gottesdiensten und Beerdigungen hieß es: Die macht gute Arbeit. Und predigen, das kann sie ja.“

Absätze und Makeup- darf eine Pfarrerin das?

Ligniez denkt viel darüber nach, was Rolle und äußeres Erscheinungsbild miteinander zu tun haben. Wirkt eine Frau, die Wert auf ihr Äußeres legt, als Pfarrerin zugänglicher als eine, die sich wenig um Kleidung und Makeup kümmert? Wird sie eher als „normaler Mensch“ wahr- oder weniger ernst genommen? „Wenn ich zu einem Beerdigungsgespräch gehe, trage ich natürlich schwarz – das hat etwas mit Respekt und Professionalität zu tun“, sagt Ligniez. Wenn sie einen Gottesdienst feiert, verzichtet sie auf Parfüm und Nagellack, um die Aufmerksamkeit der Gottesdienstbesucher nicht auf Äußerlichkeiten zu lenken. Sonst aber nimmt sie sich die Freiheit, zu tragen, was sie liebt: hohe Absätze, farbenfrohe Kleider mit Dekolleté und Röcke, die über dem Knie enden. „Ich bin gerne Frau“, sagt sie. „War ich immer schon. Und ich habe Lust und Freude daran, meine Weiblichkeit auch zu leben.“
Ligniez selbst bezeichnet ihr buntes Äußeres als „positive Irritation“. Wer sie trifft, hinterfragt vielleicht das althergebrachte Pfarrbild, zu dem auch heute noch eine gewisse Leib- und Lust-Distanz gehört. Ein Klischee, das im Pfarramt für beide Geschlechter gilt – auf das hin Frauen aber stärker beobachtet werden als Männer. Ligniez hat schon früh angefangen, sich mit diesem Klischee auseinanderzusetzen. Sie hat nach dem Studium zunächst eine Laufbahn an der Uni eingeschlagen und über die Rolle und das Berufsbild von Pfarrerinnen geforscht. Dabei entstand auch ein Kunstprojekt im Internet, für das der Fotograf Bruno Biermann ihre Verwandlung von der „alltäglichen“ Frau in die „Pfarrerin“ dokumentierte: Etwa, wie sie aus ihrem orangen Tüllrock steigt, die hochhackigen Schuhe gegen flache wechselt und den Talar über dem Punktekleid zuknöpft. Aus dem verspielten Alltagslook wird das ernste, würdevolle Aussehen der Liturgin: schwarz, schlicht, fast ohne Kontur – nur Gesicht und Hände sind deutlich zu erkennen.
„Wenn ich den Talar trage, geht es nicht um mich, sondern um etwas anderes. Ich stelle mich dann ganz in den Dienst Gottes“, erklärt Ligniez ihre Liebe zu dem weiten, verhüllenden Kleidungsstück, das einen so auffälligen Gegensatz zu ihrem sonstigen Auftreten bildet. „Der Talar lenkt den Blick auf das Wesentliche. Wenn ich ein buntes Kleid tragen würde, stünde ich selbst viel zu viel im Mittelpunkt.“

Ein Leben wie alle anderen auch

Im Alltag aber möchte sie den Menschen so begegnen, dass klar wird: Die Pfarrerin lebt ein Leben wie alle anderen auch. Sie sucht ihren Weg, sie bemüht sich; mal schafft sie es und mal scheitert sie – und genauso tritt sie ihren Gemeindegliedern gegenüber. Dass Pfarrerinnen und Pfarrer und ihre Familien unter besonderer Beobachtung stehen, erklärt Ligniez mit der Sehnsucht nach heiler Welt: „Es gibt da eine Hoffnung, dass bei denen alles gut läuft  – und es ist für manche wohltuend, aber auch irritierend, zu sehen, dass das nicht immer stimmt.“
Annina Ligniez ist jetzt seit einem guten halben Jahr als Pfarrerin im Probedienst tätig. Anfangs tat sie sich schwer mit dem Satz „Ich bin Pfarrerin“ – „der ist so allumfassend“, erklärt sie. Inzwischen aber findet sie sich darin wieder, auch wenn Fragen bleiben. Denn die Kirche hat hohe Erwartungen an ihre Pfarrerinnen und Pfarrer, einschließlich ihrer Art zu leben. Ihre eigene Lebensform inklusive ihrer Leidenschaft für Kunst und Mode damit in Einklang zu bringen, sieht Annina Ligniez nach wie vor als Herausforderung. Aber sie hat auch gemerkt: Die Arbeit in der Gemeinde ist eine Leidenschaft der besonderen Art.

– Internet: www.talarart.net.