Pfarrer über Sinn von Pilgern und warum es kein Wanderurlaub ist

Pilgern ist nicht einfach ein Wanderurlaub. Das meinen jedenfalls Jörg Meyrer (60), Pfarrer im vor zwei Jahren durch die Flutkatastrophe verwüsteten Ahrtal und sein Pilger-Freund Willi Busch (72). Zusammen waren sie 12 Tage auf dem Jakobsweg in Spanien unterwegs, 320 Kilometer von Oviedo nach Santiago. Im Interview sprechen sie darüber, was Pilgern für sie ausmacht und warum das Ziel zu erreichen nicht nur schön ist.

KNA: Pilgern ist zum Trend geworden. Was macht den Reiz aus und was ist anders als bei einer normalen Wandertour?

Jörg Meyrer: Für mich verbindet sich beim Pilgern das Draußensein mit meinem Glauben. Es gibt auch ein religiöses Ziel, es geht ums Ankommen, aber auch darum, mit anderen unterwegs zu sein und unterwegs Impulse zu bekommen. Der Jakobsweg hat nun einmal einen spirituellen Hintergrund und eine Jahrhunderte alte Tradition. Ich erlebe, dass man dort auch mit Menschen, die nicht glauben, über Gott und die Welt ins Gespräch kommt. Das unterscheidet das Pilgern von einer Wanderung in den Alpen.

Willi Busch: Wir haben beim Pilgern Leute aus aller Welt getroffen, aus Korea, Israel und Polen. Das fühlt sich an wie eine große Gemeinschaft. Einige Pilger haben mit Glauben nichts zu tun. Und doch sagte einer zu mir: „Ich habe Gott auf dem Weg nicht gefunden. Aber ich glaube er hat mich gefunden.“

KNA: Was hat Sie unterwegs beschäftigt?

Meyrer: Schon länger geht es mir darum, mehr Vertrauen zu lernen. Darauf, dass der Weg schon gemacht ist, dass Gott die Wege mitgeht und dass ich nicht allein gehen muss. Auch die Lage im Ahrtal zwei Jahre nach der Flutkatastrophe hat uns beschäftigt. Ich habe über die Reise auf Facebook und Instagram geschrieben und es haben sich etwa 40 Bekannte gemeldet und darum gebeten, ihre Themen mit auf den Weg zu nehmen. Manche haben in der Flut Schlimmes erlebt. Wir haben ihre Anliegen mitgenommen und für sie gebetet. Auch die Weltsituation war präsent. Abends kamen wir in eine Kneipe und sahen Bilder von den Überschwemmungen in Spanien im Fernsehen, die an die Bilder im Ahrtal vor zwei Jahren erinnerten.

Busch: Für mich war es der erste Jakobsweg, seitdem meine Frau, mit der ich 47 Jahre verheiratet war, gestorben ist. Ich konnte nicht mehr wie früher jeden Abend zu Hause anrufen. Manchmal habe ich die Kinder angerufen, aber das ist etwas anderes. Es war für mich ein Stück loslassen, darüber nachdenken, was wir zusammen hatten und was jetzt fehlt. Der Weg hat geholfen, mich neu zu orientieren und den neuen Alltag zu akzeptieren.

KNA: Wie war es für Sie, in Santiago anzukommen? Wenn der Weg das Ziel ist, fällt das Ziel mit dem Ankommen ja weg.

Busch: Es ist Freude und Enttäuschung zugleich: Ich war froh, dass wir es geschafft hatten und direkt auch enttäuscht, dass der Weg zu Ende ist.

Meyrer: Wir waren beide schon mehrfach in Santiago und es fühlt sich inzwischen wie Heimkommen an. Zugleich ist es schwierig, weil der Weg vorbei ist. Aber es war auch schön, die Leute von unterwegs wieder zu treffen und zusammen zu feiern. Außerdem fängt der zweite Teil des Jakobswegs erst mit dem Ankommen in Santiago an.

KNA: Sie meinen, dann kommt die Konfrontation mit dem Alltag?

Meyrer: Für mich geht es nicht darum, künftig im Alltag alles zu ändern. Aber ich möchte viele Erfahrungen mitnehmen. Beim Pilgern geht es in der Regel morgens früh los, man hat seinen Rhythmus, die Wegstrecke, Pausen. Und trotzdem gibt es Raum für Stille, Gebete, Unterhaltungen, auch dafür nichts zu tun und auf den Körper zu achten. So ein Rhythmus fehlt mir im Alltag. Konkret fehlen mir Zeiten, über mich, mein Leben und das, was wichtig ist, nachzudenken. Und: Ich möchte mir nur das vornehmen, was ich auch schaffen kann, nicht mehr. Nein zu sagen und für Pausen zu sorgen, fällt im Alltag schwer.