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Palliativ-Stiftung kritisiert Krankenhausreform: Verpasste Chance

Kritik an der Krankenhausreform und an zu wenig palliativer Begleitung am Lebensende: Der Vorstand der Deutschen Palliativ-Stiftung Thomas Sitte fordert Nachbesserungen bei der Krankenhausreform.

Die Krankenhausreform könnte die palliative Begleitung von Patienten am Lebensende verschlechtern – das befürchtet der Vorstand der Deutschen Palliativ-Stiftung, Thomas Sitte. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Fulda macht er Gegenvorschläge. Für mehr Patientenwohl und zur finanziellen Entlastung des Gesundheitswesens.

Frage: Herr Sitte, wird die laufende Krankenhausreform die palliative Beratung und Begleitung von Sterbenden und Schwerkranken verbessern?

Sitte: Nein, leider sehe ich dafür keine Hinweise. Die Entwicklung geht in die falsche Richtung. Palliativmedizin und Begleitung sind in den Reformplänen viel zu wenig berücksichtigt. Die für das Wohlbefinden auch von sterbenden Menschen so wichtige Schmerztherapie ist bislang nicht enthalten. Daher halte ich die Krankenhausreform bislang für eine verpasste Chance.

Frage: Was müsste sich im Sinne des Patientenwohls verbessern und verändern?

Sitte: Die Qualität der Arbeit der Palliativstationen und Palliativberatungsdienste droht verwässert zu werden, weil es künftig keine klaren Vorgaben mehr für Qualifikation und Personalausstattung gibt. Es könnte sogar zu der absurden Situation kommen, dass Krankenhäuser palliative Versorgung abrechnen können, obwohl sie gar keine ausreichend palliativ ausgebildeten Fachkräfte haben.

Frage: Stellen Sie die angestoßenen Veränderungen der Krankenhauslandschaft also grundsätzlich in Frage?

Sitte: Nein, wir brauchen dringend einen Wandel. Wir haben zu viele Krankenhäuser und zu viele Kliniken, die falsch ausgerichtet sind. Es gibt zu viele falsche finanzielle Anreize, so dass Patienten nicht im für sie besten Sinne behandelt werden. Kliniken verdienen beispielsweise kein Geld damit, wenn sie im fortgeschrittenen Krankheitsstadium genau nachhören, was der Patient will. Oft ist das dann eine ruhige Begleitung und ein Zulassen des Sterbens. Stattdessen gibt es finanzielle Anreize, die Hightech-Gerätemedizin bis zum Schluss durchzuziehen.

Frage: Was ist daran problematisch?

Sitte: Die Hälfte der Deutschen stirbt im Krankenhaus – und zwar in 50 Prozent der Fälle auf der Intensivstation. Wiederum die Hälfte dieser intensiv behandelten Patienten stirbt, während sie an eine Beatmungsmaschine angeschlossen sind. Das heißt: Fast jeder zehnte Deutsche stirbt, während er künstlich beatmet wird! Das ist definitiv nicht im Interesse der Patienten.

Frage: Viele verweisen auf die Erfolgsgeschichte der Hospizbewegung der vergangenen Jahre. Bundesweit gibt es hier immer mehr Angebote für Sterbende. Können sie die Aufgabe der flächendeckenden Begleitung der Sterbenden übernehmen?

Sitte: Hospize sind notwendig, aber sie stehen für eine Luxusvariante des Sterbens. Mit viel Personal, individuell gestalteten Räumen in schönen Häusern mit parkähnlichen Gärten. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wo ich mein Leben abschließen werde, würde ich auch ins Hospiz gehen wollen. Noch lieber allerdings würde ich zu Hause sterben. Leider ist es völlig klar, auch wenn kaum jemand darüber redet: Wir können uns Hospize für alle gar nicht leisten.

Frage: Warum nicht?

Sitte: Weil wir nicht genügend Personal haben. Hinzu kommt, dass Hospize vielfach auch qualifizierte Fachkräfte aus Pflegeheimen und Krankenhäusern abwerben, wo sie dann fehlen. Hospize sind schön und wichtig, aber sie bieten in unserer aktuellen Haushaltslage keine Antwort auf den demografischen Wandel mit immer mehr alten Menschen.

Frage: Was schlägt die Palliativ-Stiftung also vor?

Sitte: Jede Klinik und jede Alten- und Pflegeeinrichtung sollte Palliativ-Beratungsdienste einbeziehen. Bei potenziell tödlich verlaufenden Diagnosen müssten die Patienten frühzeitig beraten werden, müsste palliative Begleitung möglichst früh mitgedacht werden. Wichtig ist auch, das palliative Wissen der Mitarbeitenden in den Pflegeheimen und Kliniken durch mehr Fortbildung auszuweiten.

Wenn das gelänge, könnten erstens viele Patienten schneller gesund werden. Wer weniger leidet, wird leichter gesund! Und zweitens würden sie bei einer tödlich verlaufenden Erkrankung länger und zufriedener leben.

Und ganz im Sinne der Gesundheitspolitik wäre der Clou der Geschichte: Das wäre auch noch viel ressourcenschonender, effizienter und günstiger, weil viele teure, letztlich nicht dem Patientenwohl dienende Behandlungen wegfallen könnten.