Ornamentale Muster und neue Klänge

Nevin Aladağ lässt zusammenwachsen, was nicht zusammengehört: Teppiche mit unterschiedlichsten Farben, Mustern und Qualitäten fügen sich in ihren collageartigen Wandarbeiten zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Nylonstrümpfe werden zu Lampenkunstwerken und ausgemusterte Kabel bilden einen dekorativen Macramé-Wandbehang. Unter dem Titel „Nevin Aladağ – Interlocking (Ineinandergreifen)“ zeigt das Max Ernst Museum bis zum 30. Juni einen Überblick über das Werk der Bildhauerin, die derzeit zu den gefragtesten deutschen Künstlerinnen zählt.

Nevin Aladağs Werk zeichnet sich durch den Einsatz von Musik und Klang sowie die Verwendung von ornamentalen Mustern in textilen Arbeiten aus. Oftmals verarbeitet sie Alltagsmaterialien in zweckfremden Kontexten. Die Ausstellung im Max Ernst Museum zeigt textile Collagen, Klangskulpturen, Installationen und Videos der 1972 geborenen Künstlerin.

Darunter die neue Arbeit „Floating Leaves“ (2023) aus der Serie „Social Fabric“, für die Aladağ Teppiche unterschiedlicher kultureller Herkunft zu Wandarbeiten collagiert. Ihre bisherigen Teppich-Collagen zeichneten sich dadurch aus, dass sie sie zu geometrischen Wandbildern zusammenfügte. „Mit dieser Arbeit breche ich zum ersten Mal aus der geometrischen Form aus“, erklärt Nevin Aladağ. „Floating Leaves“ besteht aus vier Flächen in geschwungenen, organischen Formen. Sie sind jeweils mit Teppichcollagen einer bestimmten Farbgruppe beklebt. Die vier rahmenlosen Flächen sind mit Abstand zur Wand angebracht und überlappen sich dabei. Damit sei die Arbeit raumgreifender als ihre bisherigen Collagen, sagt Aladağ.

Aladağs Entwicklung hin zu organischen Formen zeigt sich auch in ihren im vergangenen Jahr entstandenen Wolken aus Aluminium. In das Blech wurden unterschiedliche Muster geschnitten und in verschiedenen Farben bunt bemalt. So scheinen Aladağs „Pattern Kinship Clouds“ eine Collage aus Strukturen zu sein, zu denen die Künstlerin durch Alltagsgegenstände und Architektur inspiriert wurde.

Bekannt wurde Nevin Aladağ auch durch ihre „Musikzimmer“. Auf der documenta 14 in Kassel 2017 funktionierte sie Möbelstücke zu Musikinstrumenten um. Auch in Brühl schuf die Künstlerin ein „Musikzimmer“. Es ist mit einer neueren Skulpturenserie von 2019 bestückt, für die sie Teile verschiedener Instrumente zu Objekten zusammensetzte. „Resonator Strings“ besteht aus Klangkörpern sowie Saiten von Bassgitarre, Cello und Zither. Für „Resonator Wind“ ließ Aladağ Mundstücke verschiedener Blasinstrumente in eine Metallkugel ein. Und „Resonator Percussion“ besteht aus verschiedenen Handtrommeln und Glocken.

Die Instrumente werden in der Ausstellung zu bestimmten Zeiten von Musikerinnen und Musikern bespielt. Aladağ geht es auch mit diesem Werk darum, etwas zusammenzubringen, in diesem Fall Menschen. „Mich interessiert, wie es klingt, wenn mehrere gleichzeitig auf einem Körper spielen“, erklärt sie. „Und wie nimmt man dabei Rücksicht aufeinander?“

Klang spielt auch in Aladağs Videoarbeiten eine zentrale Rolle. In Brühl sind drei ihrer 3-Kanal-Videoinstallationen zu sehen, mit denen die Künstlerin den Sound bestimmter Städte einfing. Auch hier kommen Instrumente zum Einsatz, die aber nicht von Menschen, sondern quasi durch die Umgebung bespielt werden. In einer ihrer Heimatstadt Stuttgart gewidmeten Videoarbeit etwa wird ein Tamburin durch die Bewegung eines Schaukelpferdes in der Fußgängerzone geschüttelt. Eine an einem Laternenmast aufgehängte Ziehharmonika ertönt, indem sie sich durch ihr Schwergewicht entfaltet.

Die Übertragung von Klang in Material ist Thema einer Performance, mit der Aladağ unter anderem an der Biennale in Venedig 2017 teilnahm. Sieben junge Frauen in Stilettos tanzen auf mit Kupferfolie bedeckten Podesten zu Songs, die sie über Kopfhörer hören. Das Publikum vernimmt nur das Klicken der Absätze. Im Max Ernst Museum sind das Video der Performance zu sehen sowie die betanzten Kupferplatten. Durch die Abdrücke der Stilettos entstanden je nach Musik-Rhythmus und Tanzstil unterschiedlichste Muster.

Aladağ zielt mit ihrer Kunst häufig auch darauf ab, das Publikum miteinzubeziehen. In Brühl können Besucherinnen und Besucher umhäkelte Bälle als Sitzgelegenheiten nutzen. Mit Teppich umhüllte Basketbälle dürfen zum Spielen in der Installation „Carpet Ball Game“, einem Indoor-Basketball-Platz, verwendet werden. Ein in die Ausstellung integrierter Werkraum lädt dazu ein, die von der Künstlerin verwendeten Techniken selbst auszuprobieren.

Nevin Aladağ wurde in Van in der Türkei geboren, wuchs in Stuttgart auf und lebt in Berlin. Sie studierte Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München und lehrt seit 2020 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden.