Organspende-Einbruch: Mediziner sieht ein Generationenproblem

Die Bereitschaft zur Organspende ist in Deutschland generell gering. Einen Grund sieht der Hamburger Mediziner Reichenspurner darin, dass sich junge Menschen zu wenig mit dem Tod beschäftigen.

In Deutschland ist nur Organspender, wer das zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.
In Deutschland ist nur Organspender, wer das zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.Imago / photothek

Die geringe Zahl an Organspenden in Deutschland ist nach Einschätzung des Chirurgen Hermann Reichenspurner auch ein Generationsthema. Die Bereitschaft zur Organspende sei generell niedrig, sagte der Mediziner dem Spiegel. Hinzu komme, dass jüngere Menschen sich ungern mit dem Tod befassten. „Es helfen da übrigens auch keine Broschüren von der Krankenkasse über Organspende – die landen im Mülleimer.“

Die Folge: Wenn jemand sterbe, müssten meist die Angehörigen entscheiden, ob Organe entnommen werden dürften. Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, an dem Reichenspurner Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie ist, sei „eine der Top-Entnahme-Kliniken“ in der Bundesrepublik. Dennoch liege die Ablehnungsquote bei rund 50 Prozent. „Ich verstehe das durchaus“, sagte der Mediziner. „Der Trauerschmerz in der Situation ist groß, und über das Thema ist vorher meist nie mit dem Verstorbenen gesprochen worden. Das ist alles ein großes Dilemma.“

Organspende: Reichenspurner für Widerspruchsregelung

Der Experte sprach sich für die sogenannte Widerspruchslösung aus. Danach wäre jeder Bundesbürger ein potenzieller Organspender, außer er hat ausdrücklich widersprochen. Eine entsprechende Reformforderung war 2020 im Bundestag gescheitert. In Deutschland gilt derzeit, dass nur derjenige Organspender sein kann, der dem zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat.

Das Thema sei hierzulande „ein altes Trauma“, fügte Reichenspurner hinzu. „In den dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte, dem Nationalsozialismus, gab es den sogenannten Passus des ‚mutmaßlichen Willens‘. Viele Menschen, etwa mit Behinderungen, sind unter diesem Vorwand umgebracht worden.“ In der heutigen Zeit seien die Bedingungen jedoch zum Glück andere.

Spende von Organen ist auch ein parteipolitisches Problem

Zuletzt war Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit einem erneuten Vorstoß für die Widerspruchslösung auf Kritik gestoßen.
Reichenspurner verwies auf Spanien, wo weltweit die meisten Organe gespendet werden: Dort werde „viel konsequenter nach potenziellen Spendern gesucht“, das „kleinste Krankenhaus“ habe einen eigenen Beauftragten dafür.

Mitte Januar hatte die Deutsche Stiftung Organtransplantation mitgeteilt, dass sowohl die Zahl der Spender als auch der Transplantationen im Jahr 2022 erneut zurückgegangen sei. Die Stiftung verzeichnete ein Minus von 6,9 Prozent bei der Zahl der Spender; die Zahl der eingepflanzten Organe sank von 2.979 im Jahr 2021 auf 2.795.