Opfer von Hexenprozessen in den USA sollen rehabilitiert werden

Mehr als 300 Jahre nach den letzten Hexenprozessen in den USA machen Aktivisten Druck, den damals angeklagten und hingerichteten Frauen ihre Würde zurückzugeben. Mehrere Bundesstaaten wollen sich offiziell entschuldigen.

Die Männer kannten kein Erbarmen. Im Frühjahr 1692 verhafteten sie in der Siedlung von Salem im Neuengland-Staat Massachusetts mehrere Frauen. „Verdacht auf Hexerei“ lautete der Vorwurf. Unter ihnen war auch die erst vierjährige Dorothy Good, deren schwangere Mutter Sarah im Gefängnis auf ihren Tod durch den Strang wartete. Ihr Baby, das kurz vorher im Kerker geboren war, kam ebenfalls ums Leben.

Sieben Monate vegetierte die kleine Dorothy angekettet in ihrem dunklen und kalten Verlies, weil sie „des Teufels“ sei, lautete der Schuldvorwurf. Der Galgen blieb ihr erspart; doch die Torturen hätten sie in den Wahnsinn getrieben, gab ihr Vater damals an. Die Tragödie ist dokumentiert und steht stellvertretend für das Schicksal Hunderter Frauen allein in der Region des heutigen Massachusetts Ende des 17. Jahrhunderts.

Die Details der Familiengeschichte der Goods hat das „Massachusetts Witch-Hunt Justice Project“ zutage gefördert. Die Organisation von Geschichtsinteressierten und Nachkommen hat auch das Schicksal von Margaret Jones erforscht. Die Hebamme starb 1648 als erstes Hexenopfer in Massachusetts unter dem Galgen, lange vor den massenhaften Hexenprozessen in den 1690er Jahren.

Als erste der Hexerei beschuldigte Katholikin identifizierten die Hobbyforscher die 1688 hingerichtete Goody Glover. An ihren Tod erinnert eine Gedenktafel an der katholischen Kirche im Bostoner Stadtteil North End. Sie gilt heute als Märtyrerin. Im Verdacht, Hexen zu sein, standen vorwiegend Witwen, Mädchen und arme Frauen.

Das Hexen-Projekt, eine unter mehreren Bürgerrechtsgruppen, die sich zum Ziel gesetzt haben, das düstere Kapitel der frühen US-Geschichte zu erforschen, will die vollständige Rehabilitierung der Opfer und eine öffentliche Entschuldigung. Auch in Connecticut, Virginia und Vermont sind solche Graswurzelbewegungen aktiv.

„Wir suchen nach allen Frauen, die bei den Hexenprozessen in Salem und Boston bisher nicht identifiziert wurden“, so der Leiter des Massachusetts-Hexen-Projekts, Joshua Hutchinson. Dabei wollen sie Lehren aus den damaligen Hexen-Phobien ziehen. Die haben viel mit Angst zu tun, so Hutchinson. Rechtsextreme Verschwörungstheoretiker wie von QAnon beispielsweise ließen auch heute wieder „satanische Panik“ aufleben, meint er. Selbst sexuelle Minderheiten und Migranten würden als Bedrohung empfunden.

Ängste hatten auch im 17. Jahrhundert eine wahre Paranoia ausgelöst; zu einer Zeit, als die Hexenprozesse in Europa langsam abebbten. Angetrieben durch Fremdenfeindlichkeit, religiösen Extremismus und soziale Spannungen verschärfte sich die Hatz auf Frauen, die angeblich „mit dem Teufel im Bunde“ waren. Der Massenhysterie fielen sogar Hunde zum Opfer, die angeblich vom Teufel besessen waren.

Rund 300 Jahre später beschäftigt die Hexen-Phobie auch Kunst und Wissenschaft. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verarbeitete der Dramatiker Arthur Miller das Thema in „The Crucible“ (Der Schmelztiegel) als Allegorie für die antikommunistische Hetze der McCarthy-Ära der 1950er Jahre.

In diese Zeit fallen auch die ersten offiziellen Rehabilitierungsmaßnahmen in mehreren US-Bundesstaaten. 1957 entschuldigte sich Massachusetts für das Unrecht gegenüber verteufelten Frauen. 2001 unterzeichnete die damalige Gouverneurin Jane Swift ein Gesetz, das die Hinrichtungen von fünf Frauen in Salem für Unrecht erklärte. Und 2007 begnadigte Tim Kaine, Gouverneur von Virginia, Grace Sherwood, die 1706 an Händen und Füßen gefesselt in einem Fluss ertrank.

2022 bekannten sich die Senatoren von Connecticut zu einem historischen „Justizirrtum“ und stimmten für die Rehabilitierung von zwölf verurteilten Frauen, von denen elf am Galgen starben. Im selben Jahr halfen die Schüler einer achten Klasse in North Andover, Massachusetts, die 22-jährige Elizabeth Johnson zu rehabilitieren – 329 Jahre nach ihrer Verurteilung. Eine Schülerin erklärte die Lobbyarbeit für die Frau in einem Artikel für die „Washington Post“: Geschichte zu studieren sei wichtig, um die Fehler der Vergangenheit zu verstehen.

Einer hatte schon viel früher verstanden. Richter Samuel Sewall legte bereits fünf Jahre nach den Bostoner Hexenprozessen 1692/93 ein öffentliches Schuldbekenntnis ab. Er nahm die „Schuld und Schande“ der Prozesse auf sich und bat um Vergebung.