Nur nicht stolpern

Frauen und Männer, die in der westfälischen Landeskirche das Vikariat absolvieren, sind zur Rarität geworden. Einer dieser seltenen Gattung ist Daniel Wiegmann. Er bewältigt die vielen Aufgaben inzwischen souverän – und ist „superzufrieden“ mit seinem Beruf

Daniel Wiegmann ist ein Mann zum Schwärmen. Das jedenfalls finden die Frauen, die sich an diesem Mittwochnachmittag zur Frauenhilfe im Gemeindehaus in Borken-Gemen treffen. „Der kann einfach alles“, sagt eine und zählt an den Fingern auf: „Orgel spielen, singen, beten, predigen …“ Ein „ganz Tüchtiger“ sei er, findet eine andere. „Der fragt viel und geht vorsichtig an die Dinge ran.“ Und eine dritte ist heute, bei dem schönen Wetter, überhaupt nur gekommen, weil der junge Vikar den Nachmittag gestaltet.

Singen, beten, predigen – und Orgel spielen

Der, von dem die Frauen reden, baut derweil gelassen Laptop und Beamer auf. Ein schlanker junger Mann mit weißem Hemd, gepflegtem Vollbart und dunkler Hornbrille. Seit rund anderthalb Jahren ist er Vikar in der Gemeinde im ländlichen Münsterland – Zeit genug, um schon eine gewisse Routine zu entwickeln. In der Frauenhilfe ist er heute zum zweiten Mal verantwortlich für das Programm. Um Paul Gerhardt soll es gehen – „mal was anderes als Luther und Reformation“. Schnell noch ein Liedblatt kopieren, dann geht es los.
Für die Andacht zu Beginn hat Wiegmann sich das Gerhardt-Lied „Nun danket all und bringet Ehr“ herausgesucht. Er setzt sich ans Klavier, schlägt das Gesangbuch auf und spielt eine kurze Einleitung – frei improvisiert und professionell, wie auch die anschließende Liedbegleitung. Man merkt: Daniel Wiegmann ist über die Kirchenmusik zur Theologie gekommen. Als Jugendlicher begleitete er in seiner Heimatgemeinde in Gladbeck Gottesdienste an der Orgel; „später haben mich auch die Inhalte interessiert“, erzählt er. Einen Teil seines Studiums hat er sich mit Orgeldiensten finanziert. Von seinen musikalischen Fähigkeiten profitiert jetzt seine Vikariatsgemeinde.
Die folgende kurze Betrachtung über den Wert der Traditionen hält Wiegmann frei. Falls er aufgeregt ist, ist ihm das zumindest nicht anzumerken. Er wirkt ruhig – kein Selbstdarsteller, eher zurückgenommen, dabei aber durchaus selbstbewusst. Auch durch das weitere Programm des Nachmittags – Vortrag, Geburtstagsglückwünsche und Terminabsprachen – führt er souverän, zum Teil unterstützt von seiner Vikariatsmentorin Barbara Werschkull.
Zum Abschluss setzt sich Wiegmann noch einmal ans Klavier und stimmt ein heiteres Quodlibet aus Choral-Anfängen an. Da reimt sich die Zeile „Der Tag ist nun vergangen“ auf „Wie soll ich dich empfangen?“. Am Ende gibt es viel Gelächter.
Den übriggebliebenen Kuchen soll der Vikar mitnehmen. Der kann es brauchen, finden die Frauen.

„Die Leute hier machen es mir leicht“

Und, wie ist die Realität des Pfarrer-Lebens? „Ich bin superzufrieden“, sagt Wiegmann, während er zusammenpackt, nach rechts und links grüßt, Hände schüttelt und noch einige Fragen beantwortet. „Die Leute machen es mir wirklich leicht, und ich fühle mich hier auf dem Land richtig wohl.“ Es gefällt ihm, dass die Schulkinder ihn nach seinem dreimonatigen Praktikum in der Grundschule auf der Straße erkennen und ansprechen. Die enge Verzahnung von Beruf und Privatleben hat er bisher nicht als Belastung empfunden: „Ich finde es angenehm, mittendrin zu wohnen, ich fühle mich hier zuhause.“ Auch seine Partnerin, eine angehende Lehrerin, könne mit der Situation gut umgehen. „Sie ist bereit, das mitzutragen“, erklärt Wiegmann.
Natürlich war nicht alles von Anfang an leicht. Die Gottesdienste zum Beispiel: „Nach den ersten beiden war ich jedesmal völlig fertig“, erinnert sich der junge Theologe. „So viel, woran man denken muss!“ Und dann war da auch noch die steile Kanzeltreppe – „da hatte ich Angst, vorne auf meinen Talar zu treten und zu stolpern.“ Oder die erste Taufe: „Das war aufregend. Ich hätte nicht gedacht, dass darin so viel zusätzliche Vorbereitungszeit steckt.“
Inzwischen macht es ihm Spaß, vorne am Altar zu stehen; Gottesdienste gehören zu seinen Lieblingsaufgaben im Vikariat. Er hat Sicherheit gewonnen – so weit, dass er sogar improvisieren konnte, als neulich sein Ringbuch fehlte. „Das hatte ich in der ersten Kirche liegen lassen, weil ich so schnell zum zweiten Gottesdienst musste“, erzählt er. „Aber ich hatte ja die Predigt schon einmal gehalten. Ich hab dann einfach das freie Sprechen ausprobiert.“
Für die Begleitung der praktischen Ausbildung im Predigerseminar in Wuppertal hat der junge Theologe viel Lob übrig. Trotzdem gibt es seiner Ansicht nach Dinge, die verbessert werden müssen. Zum Beispiel die Prüfungsordnung für das abschließende Examen. Deshalb hat Wiegmann kürzlich den Vorsitz im Rat der Vikarinnen und Vikare übernommen. „Man muss ja etwas dafür tun, dass sich was verändert“, findet er.
Jetzt gerade allerdings möchte Wiegmann einfach nach Hause. Ihm steckt eine Impfung in den Knochen – Vorbereitung für eine Reise des Vikariatskurses nach Tansania. Die Vereinte Evangelische Mission hat angeboten, eine Begegnungsreise für die jungen Theologinnen und Theologen zu organisieren. Für Wiegmann eine tolle Gelegenheit: „Ich reise unheimlich gerne. Dabei lernt man so viele interessante Menschen kennen“, sagt er. Für die Zeit nach dem Vikariat ist denn auch ein Auslandsaufenthalt geplant: in Montreal, bei einer deutsch- und englischsprachigen Gemeinde.

Lieblingstätigkeit: Gottesdienst feiern

Zum Abschluss noch ein Blick in die Kirche – „wunderschön“, wie Wiegmann fast liebevoll ankündigt, während er nach dem richtigen Schlüssel sucht. Innen öffnet sich ein heller barocker Kirchraum mit goldverzierten Schnitzereien. Ohne Talar meistert Wiegmann die steile Treppe zur Kanzel problemlos. Über seinem Kopf wölbt sich der Schalldeckel mit einem goldenen Strahlenkranz. Er steht ihm gut.