Null Promille für Schwangere
Das Fetale Alkoholsyndrom (Fetal Alcohol Spectrum Disorders, FASD) ist eine Behinderung, die man verhindern kann. Die Ärztin Heike Kramer aus Erlangen ist Vorsitzende der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung (ÄGGF) mit Sitz in Hamburg und setzt auf Wissen durch Prävention schon bei Jugendlichen.
epd: Frau Kramer, wie schaffen Sie es, Pubertierende für FASD zu interessieren?
Kramer: Wir sprechen zunächst über Sexualität allgemein, Fragen der Schülerinnen und Schüler. Prävention funktioniert nicht über Abschreckung, sondern über Emotionen. Das Thema Kinderwunsch und Schwangerschaft flechten wir ein, wenn es passt. Wir haben eine FASD-Puppe mit anknüpfbarer Plazenta, mit der wir zeigen können, wie der Alkohol in das Baby kommt und welche sichtbaren Folgen dies haben kann. Erstaunlich ist immer wieder, dass wir Wissenslücken feststellen. Wir haben feste Botschaften, nämlich: Wenn du planst, schwanger zu werden, trinke ab dem Moment, wo du die Verhütung absetzt, keinen Alkohol mehr. Wenn ihr eine Verhütungspanne hattet, unsicher oder gar nicht verhütet habt, trinkt keinen Alkohol mehr, bis klar ist, was draus geworden ist.
epd: Die Wissenslücken stellen Sie auch in Fachkreisen fest. Wie kann das sein?
Kramer: Das Fetale Alkoholsyndrom spielt in der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten kaum eine Rolle. Viele Ärztinnen und Ärzte habe noch veraltetes Wissen und empfehlen Schwangeren eventuell sogar Sekt, um den Kreislauf anzukurbeln. FASD könnten wir verhindern, wenn die gesamte Schwangerschaft über konsequent nichts getrunken würde. Wir brauchen eine deutliche Kennzeichnung von Lebensmitteln, die Alkohol enthalten. Und alkoholfreie Getränke müssen wirklich alkoholfrei sein und nicht wie aktuell bis zu 0,5 Prozent Alkohol enthalten dürfen. Auch darf es nicht mehr vorkommen, dass Schwangeren Alkohol angeboten wird oder sie zum Mittrinken aufgefordert werden.
epd: Wie wird diagnostiziert?
Kramer: Hat die Mutter sehr früh Alkohol getrunken, sieht man das im Gesicht: beispielsweise ein kleiner Kopf, eine schmale Oberlippe, eine verwischte Rinne unter der Nase, verkürzte Lidspalten. Das ist aber nicht immer so einfach, sicher zu sehen. Es verwächst sich auch. Vielleicht sind die Kinder klein und leicht. Wir haben sogar Kinder, die beim IQ-Test relativ normal abschneiden und ihre Alltagskompetenz ist trotzdem beeinträchtigt. Neben den genannten Merkmalen brauche ich für die Diagnosestellung psychologische Tests, die die Exekutivfunktionen abfragen. Wenn ich auch dabei Auffälligkeiten feststelle, kann ich die Diagnose stellen. Dafür brauche ich aber spezialisierte sozialpädiatrische Zentren oder ärztliche Praxen. Das kann nicht jede Kinder- und Jugendarztpraxis einfach so machen. Wir haben nicht genug Zentren. Und die, die wir haben, haben lange Wartezeiten.