November-Serie „Leben bei den Toten“: Rahlstedter Friedhof
In unserer November-Reihe erkunden wir das bunte Leben, das auf Friedhöfen herrscht. Los geht es auf dem artenreichen Rahlstedter Friedhof, der Heimat für Tiere und Pflanzen ist.
Orangerotes Gefieder, schwarzer Kopf und ein weißer Kragen – das ist der Fasan, der bei uns heimisch und normalerweise in Wäldern und Naturschutzgebieten anzutreffen ist. Oder eben auf dem Rahlstedter Friedhof – da wohnt gleich eine ganze Fasanenfamilie. „Sie war plötzlich da“, berichtet Friedhofsverwalter Matthias Habel. „Es war total spannend: Ich fuhr mit dem Fahrrad über den Friedhof, und plötzlich kreuzt eine Fasanenfamilie meinen Weg.“ Woher die komme, könne er nicht sagen. Fakt ist: Tiere lieben den Friedhof. Auch ein Stockentenpärchen bewohnt seit Jahren die Anlage und brütet hier. „Warum die uns ausgewählt haben, wissen wir auch nicht.“ Aber Habel freut sich über diese Artenvielfalt.
Friedhöfe sind nicht nur Orte für Tod und Trauer. Sie erinnern daran, dass jedes Leben irgendwann endet. Aber wenn wir genau hinschauen, ist hier auch ganz viel neues Leben. Gerade auf Friedhöfen gehe es sehr lebendig und artenreich zu, erzählt Habel. „Das gehört ja einfach zusammen: Wir Friedhofsmenschen leben hier unter den Toten jeden Tag unseren Beruf. Und auf dem Friedhof selbst gibt es so viel Leben wie fast nirgendwo in der Stadt.“
Den Rahlstedter Friedhof gibt es seit 1829. Ein kirchlicher Friedhof mit enger Anbindung an die Gemeinden. „Viele Arten haben jahrzehnte-, jahrhundertelang Zeit gehabt, sich hier anzusiedeln.“ Es gebe viele Orte, die unberührt seien, und eine sehr hohe Artenvielfalt in den Gehölzen. Für ihn sei die Friedhofsanlage so etwas wie ein botanischer Garten oder „ein Arboretum“, sagt der Gärtnermeister.
Rahlstedter Friedhof: Heimische und nicht heimische Pflanzen nebeneinander
Hier wachsen nicht nur heimische Pflanzen. Ein Exemplar sticht sofort ins Auge, weil es genauso aussieht, wie es heißt: „Dort haben wir zum Beispiel einen Zimtrindenahorn. Oder was wir jetzt gleich noch sehen wollen, ist ein Japanischer Ahorn, der im Herbst eine wunderschöne Färbung auf den Friedhof bringt.“ Der Baum beherberge zwar keine Artenvielfalt wie eine heimische Eiche, aber auch die ist auf dem Rahlstedter Friedhof zu finden.
Die nicht heimischen Pflanzen sorgen vor allem für Abwechslung. Der Christusdorn zum Beispiel trägt jetzt im Herbst auffälliges gelbes Laub. „Und dahinter ein Palmatum Osakazuki, ein Japanischer Ahorn mit einer knalligen roten Herbstfärbung“, erklärt der Experte das Farbenspiel. „Ein gutes Beispiel dafür, wie man pflanzliche Vegetation mit einem hohen optischen Wert auf dem Friedhof auch gut pflanzen kann.“
Nur Eichen und Birken würden es hier ziemlich trist aussehen lassen. Natürlich könne es so eine Artenvielfalt auch mit rein heimischen Gewächsen geben. „Ich bin aber der Meinung, wenn wir eine superattraktive Parkanlage haben wollen, die ökologisch und schön zugleich ist, müssen wir uns ein paar fremdländischer Gehölze bedienen“, sagt Habel.
Symbiose aus Pilz und Alge auf dem Grabstein
Pflanzlich heimisch und bekannt sieht es bei den Kriegsgräbern aus: eine Fläche mit älteren Grabsteinen in Kreuzform, die nebeneinander auf Grün stehen. Auf den Steinen wächst etwas, das das Laienauge wahrscheinlich als Moos bezeichnet. „Das, was wir hier sehen, sind Tüpfelflechten.“ Am Nachbargrabstein wächst die Becherflechte. „Das ist ökologisch hoch spannend“, findet Habel. „Das ist ja eine Symbiose aus Pilz und Alge, und die brauchen Lebensräume, die jahrzehntelang ungestört sind. Und hier auf den Grabsteinen können die sich eben ausbreiten.“ Daher sei es richtig, dass wir die nicht einfach „wegschrubben“, sondern ihnen diese ökologische Nische lassen.
Für solche Nischen sei der Friedhof der perfekte Ort, meint Habel. „Natürlich sind wir auch ein wertvoller Park für die Menschen, die rund um uns herum in der Stadt wohnen. Aber wir sorgen auch mit der vielfältigen Bepflanzung dafür, dass wir ein ganz eigenes Mikroklima hier bei uns auf dem Friedhof haben.“ Auch vieles, das hier nicht heimisch ist, kann mit Expertenhilfe gut wachsen und macht das Leben auf dem Friedhof bunt.
Friedhöfe: Neues Leben auf Totholz
Immer wieder fallen in der Anlage auch abgestorbene Bäume auf. Die sind passend zu unserem November-Thema „Leben bei den Toten“ Lebensraum par excellence. Eine alte Weide, 50 Zentimeter Durchmesser, vier Meter hoch – „Ökostubben“ nennt sie der Experte. „Das Ding ist tot“, sagt er knapp. Sie wurde abgesägt, ist aber stehen geblieben. „Denn wir wissen, dass stehendes Totholz eine wahnsinnig wichtige ökologische Funktion hat und viel mehr Leben darauf herrscht als auf einem lebenden Baum.“ Der Weidenstamm ist inzwischen Heimat für einen Specht und unzählige Tiere, die zwischen Baum und Borke wohnen. Als Ausgleich stehe nebenan eine lebende Zaubernuss, die jetzt im Herbst wunderschön blüht.
Noch eine bekannte Pflanze mag er besonders an Bäumen: Efeu. „Der durchlebt eine genetische Mutation und verliert die Möglichkeit, am Stamm zu haften, bildet die Triebe und auch die Blätter um. Und dann treiben die Triebe vom Stamm weg nach außen.“ So wuchert die Pflanze, bildet im August und September sogar Blüten aus und ist Nahrungsquelle für sämtliche Tier- und Insektenarten. Der Experte rät: „Efeu einfach wachsen lassen.“