Nicht nur Mann und Frau

An diesem Wochenende tritt die Landesjugendversammlung der Evangelischen Jugend in der EKBO (EJBO) zusammen. Ein Schwerpunkt wird „Gender und Diversität“ sein. Im Interview mit Jugendreporter Laurence Donath erzählen der EJBO-Vorsitzender Béla Dörr und sein Vorgänger Kevin Jessa, wie sich der Umgang mit dem Thema Vielfalt in der Jugendarbeit verändert hat und was es noch zu tun gibt.

Kevin und Béla, wann fing die EJBO an, sich mit dem Thema Gender auseinanderzusetzen?

Kevin: Bevor Gender ein Thema wurde, hatte sich die EJBO mit Homosexualität beschäftigen wollen. Die Diskussion in der Kirche war hoch­aktuell. Auf der Landesjugendversammlung 2011 haben wir bemerkt, dass die EJBO sich dazu nicht so recht positioniert hatte. Es gab verschiedene kleinere Gruppen die sagten, dass man jetzt auch einmal Flagge zeigen müsste. Die Landesjugendversammlung hatte sich dann mit großer Mehrheit dafür entschieden, dass wir uns damit beschäftigen. Uns war von Anfang an klar, dass wir uns positiv zu dem Thema äußern möchten. Die Evangelische Jugend wollte ein Ort für alle sein, wir wussten aber nicht, ob wir da auf dem richtigen Weg sind und wie wir mit den Argumenten umgehen sollten, die uns entgegen geschleudert wurden.

Béla: Ich hatte das Gefühl, dass der Workshop "Bunt wie Gottes Schöpfung", den es seit ein paar Jahren gibt, auch ganz viel dazu beigetragen hat, dass Leute sich mit dem Thema „sexuelle Orientierung“ überhaupt erstmalig beschäftigen. Meiner Einschätzung nach bewegen wir uns jetzt mehr in Richtung ,,Identität“. Ich glaube, dass nachdem ich mich geoutet hatte, auch hier Leute anfingen, Fragen zu stellen. Unser Ziel war und ist, darüber zu diskutieren und aufzuklären.

Wollt ihr auf etwas Bestimmtes aufmerksam machen?

Kevin: Wir als EJBO wollten zeigen, dass wir mehr als eine Masse und genauso bunt wie die Gesellschaft sind. Uns war das bis dahin alles zu platt, was wir so als Argumente gegen Schwule, Lesben und Bisexuelle hörten. Da ging es um vermeintliche Widernatürlichkeit oder "… in der Bibel steht aber: Das ist böse". Das schien uns ein zu einfaches Argumentationsmuster zu sein.

Béla: Auch beim Thema Gender habe ich das Gefühl, dass da noch nicht so viel darüber geredet wird. Homo­sexualität wurde ganz breit in der Kirche diskutiert und über Trans­identitäten oder Leute, die sich als nicht als Mann oder Frau, als nicht-binär definieren, habe ich bis jetzt noch nicht so viele Diskussionsrunden mitbekommen. Und wenn, dann wurde immer nur mit der Bibel argumentiert und gesagt, dass es nur Mann oder Frau gibt und dazwischen nichts existiert. Wir wollen genau auf das Gegenteil aufmerksam machen und zeigen, dass unser Geschlecht nichts damit zu tun hat, wie wir als Christ*innen leben.

Wie hat die Jugend das Thema aufgenommen?

Kevin: Wir hatten schon ein vorsichtiges Gefühl, dass es ja gar nicht falsch sein kann, da wir alle, wie wir sind, von Gott geschaffen wurden. Doch wir stellten trotzdem die theologische Frage: Können wir das einfach so sagen? Wir haben versucht, hinter die biblischen Zeugnisse zu schauen. Nachdem wir die oberflächliche Schicht abgekratzt hatten, wurde uns klar, dass mehr dahinterstecken muss. Es hatte uns wieder einmal gezeigt, dass biblische Texte nicht eins zu eins zu verstehen sind und eben nicht platt sind. Die Jugendlichen haben das Thema „Gender“ gut aufgenommen, ich habe in meiner Zeit nie großen Protest wahrgenommen.

Béla: Ich meine, dass wir nicht auf Abneigung stoßen, wenn es um das Thema geht. Ganz im Gegenteil, eher auf ein großes Fragezeichen. Immer, wenn es um Leute geht, die nicht binär sind, wissen Leute oft einfach nicht, was das überhaupt heißt. Das ist das, was ich ganz cool finde. Es kommen Jugendliche auf dich zu und stellen einfach erst mal Fragen. Mir fällt auf, dass es Unmengen an Vorurteilen gibt. Aber man kann nicht generalisieren und sagen: "Die dort ist trans und deswegen sind alle Transgender so." 

Welche Ziele hat sich die Evangelische Jugend in Hinblick auf das Thema gesetzt?

Béla: Wir sind gerade dabei, einen Workshop zum Thema "Identität" zu erarbeiten. Wir sprechen gemeinsam darüber, welche Definitionen man so benutzen kann, wenn es um die eigene Identität und das Geschlecht geht. Ein großer Schwerpunkt liegt in den "Was-wäre-wenn"-Situationen. Die Teilnehmenden bekommen kleine Karten, auf denen dann zum Beispiel steht: Wie reagierst du, wenn sich dir eine Person so vorstellt: "Hallo, mein Name ist Sonja und mein Pronomen ist er." Oder: "Hallo, mein Name ist Paul und mein Pronomen ist sie." Darüber, wie darauf reagiert wird, kann in der Gruppe dann diskutiert werden.

Gibt es Erfolge oder eine positive Entwicklung zu verzeichnen im Umgang mit dem Thema?

Béla: Positive Entwicklung insofern als das wir bei unseren Versamm­lungen gendergerechte Toiletten haben, dass wir genderfreundlich unsere Briefe formulieren, dass wir darüber diskutieren, was wir meinen, wenn wir über "Gender" reden.

Kevin: Den größten Erfolg vergisst du grade. Wir haben wieder einen queren Vorsitzenden und das finde ich nicht selbstverständlich. Das ist schon ein großer Schritt und ein großer, vielleicht sogar der größte Erfolg. Es ist selbstverständlich geworden. Ich würde noch ergänzen: Wir haben auch an der "Trauung für alle" mitgearbeitet und auch da spätestens 2016 einen großen Erfolg verzeichnen können.

Was waren eure schönsten Erfahrungen zum Thema "Gender und Identität"?

Béla: Bei mir sind es die kleinen Gespräche zum Beispiel auf der Landesjugendversammlung, die für mich besonders schön sind, wenn man durch Zufall auf das Thema kommt, wenn man ein Gespräch führen kann und merkt, dass da Interesse dahintersteht und sich jemand traut, einfach mal Fragen zu stellen.

Kevin: Was mich persönlich immer bewegt, ist, wenn sich jemand traut, sich zu outen. Besonders, wenn jemand zum ersten Mal im Umfeld der EJBO sagt: "Ich bin schwul." Da krieg ich immer Gänsehaut und denke mir, dass es ja doch etwas bewirkt, was wir machen. Offenbar ist ein Raum geschaffen, in dem man sich öffnen kann und sich wohlfühlt.