Nicht nur böhmische Dörfer – ein neues Porträt der Elbe

Rhein und Donau sind die prominentesten Flüsse in Deutschland. Die Elbe steckt da zurück – obwohl sie einen einzigartigen Kulturraum verbindet. Für ihren Biographen ist sie “der Strom des wiedervereinigten Deutschland”.

Flussbiografien sind eine beliebte Literatur-Gattung. Ob Rhein, Donau oder Elbe: Der Verlauf eines Stromes liefert den Roten Faden, um Geschichte und Geschichten zu erzählen, Geologie, Umwelt und Wirtschaft zu beschreiben. Flüsse transportieren Güter und Ideen, sind Grenze und Verbindung, Festung und Furt. Sie erhalten somit eine eigene, sehr vielfältige Persönlichkeit zugeschrieben.

Burkhard Müller, Dozent für Latein an der Technischen Universität Chemnitz und Freier Journalist, hat jetzt ein neues Porträt der Elbe vorgelegt – über einen Kulturraum, der sich über mehr als 1.000 Kilometer von der Quelle auf der böhmischen Schneekoppe bis zur Mündung bei Cuxhaven erstreckt.

Es ist ein sehr persönliches Buch, das auf mehreren Reisen entlang des Flusses entstanden ist und ein – manchmal etwas zu länglich geratenes – Stimmungsbild zeichnet. Müller, der seine Eindrücke vor Ort weniger mit dem Stift als mit der Kamera festhält, beschreibt die Elbe als zentrale Achse Preußens, des Deutschen Kaiserreichs und der DDR – ein Kontrapunkt zum Rhein, der der Strom der alten Bundesrepublik und des nach Westen ausgerichteten Deutschland war. Mittlerweile sei die Elbe zum “Strom des wiedervereinigten Deutschland” geworden – über vielfältige Fremdheiten und Prägungen hinweg.

In vier großen Abschnitten – die böhmische Elbe, die sächsische Elbe, die Mittelelbe und die Unterelbe – verleiht der in Chemnitz lebende Autor dem Fluss eine Persönlichkeit. Er charakterisiert ihn als “geheime Achse Europas, an der Osten und Westen immer wieder neu aufeinandertrafen”: in der Reformation, bei der Völkerschlacht von 1813, in Torgau, wo amerikanische und sowjetische Truppen sich 1945 über der zerstörten Elbbrücke die Hände reichten.

Ostelbien, das war zu Kaisers Zeiten das dünn besiedelte flache Land, das großflächige Gutswirtschaft ermöglichte und auf dem auch nach dem Beginn der industriellen Revolution die Landwirtschaft ein stark dominierender Wirtschaftszweig war. Das war das Land, wo Gutsbesitzer, oft Adlige, protestantisch und politisch konservativ bis reaktionär, den Ton angaben.

“Elbe”, so schreibt der Autor unter Berufung auf Sprachwissenschaftler, bedeutet einfach “Fluss”. Als kleiner Bach kommt sie aus dem höchsten Mittelgebirge Mitteleuropas, dem Riesengebirge. In Böhmen, über Jahrhunderte Teil des Heiligen Römischen Reiches und des Habsburger Reiches, bahnt sie sich ihren Weg durch bekannte und durch fast vergessene Regionen – böhmische Dörfer und böhmische Städte. Auf dem Weg nach Sachsen fließt sie durch schroffe Gebirgsformationen, durchfließt Auenlandschaften. Kaum ein anderer großer Strom in Westeuropa ist so naturnah, zeigt so viel biologische Vielfalt und darf sich noch so frei bewegen.

Müller beschreibt die Elbe als Kulturraum: Zu ihm gehören auch die Nebenflüsse, besonders die Moldau mit Prag, die Eger, die Saale mit der Unstrut, die Havel mit der Spree. Sie durchfließt die Landschaft der alten böhmischen Badeorte, passiert das Schlachtfeld von Königgrätz, den Schreckensort des Konzentrationslagers Theresienstadt, die alten Zentren der Reformation bei Wittenberg und des sächsischen Glanzes in Dresden. In ihrem Wasser spiegeln sich die gotischen Dome von Meißen und Magdeburg.

Es gibt berühmte Parklandschaften an ihren Ufern, in Sachsen ebenso wie bei Wörlitz und Dessau. Es gibt die Gegenden des alten Braunkohletagebaus, wo neue Landschaften entstehen. Anders als auf dem Rhein, hat die Fracht-Schifffahrt wirtschaftlich keine größere Bedeutung mehr – sieht man vom letzten Abschnitt ab, in dem der Fluss Hamburg, das “Tor zur Welt”, passiert. Von dort aus geht die Elbe, im wahrsten Sinne des Wortes, fließend in die Nordsee über – wo genau, lässt sich kaum sagen.