Nicht gegen den Willen der Verstorbenen

Die geringe Spendenbereitschaft hat eine Debatte über die Widerspruchslösung entfacht

BONN – Angesichts rückläufiger Zahlen bei Organspendern diskutieren Experten über mögliche Gründe. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) sieht unter anderem Versäumnisse in Krankenhäusern. Patientenschützer fordern, dass das gesamte Transplantationssystem in staatliche Hände gelegt werden sollte. Die DSO hatte zuvor mitgeteilt, dass es bundesweit im vergangenen Jahr 797 Organspender gab, 60 weniger als im Jahr zuvor (2016: 857). Die Anzahl der gespendeten Organe sank um 9,5 Prozent auf 2594 Organe (2016: 2867). Die bundesdurchschnittliche Spenderrate lag 2017 bei 9,7 Spendern pro eine Million Einwohner. Insgesamt seien die Organspenden auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren, hieß es. Zum Verständnis der Problematik haben wir hier zentrale Fragen der Debatte zusammengetragen und erläutert.

Wie ist die Organspende in Deutschland geregelt?
In Deutschland regelt das 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz diesen Bereich. Um Miss-brauch oder Organhandel zu verhindern, sieht das Gesetz eine strikte organisatorische und personelle Trennung der Bereiche Organspende, Vermittlung und Transplantation vor. Für die Koordination der Spende ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zuständig. Sie soll dafür sorgen, dass alle notwendigen medizinischen und organisatorischen Schritte vollzogen werden, damit Organe entnommen, an geeignete Patienten vermittelt und transplantiert werden können. Zwei Ärzte müssen unabhängig voneinander den Hirntod des Patienten feststellen.
Derzeit gibt es in Deutschland rund 1350 Krankenhäuser mit Intensivstation, die Organe entnehmen dürfen. Sie sind seit 2012 verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestellen. Sie sollen potenzielle Organspender identifizieren, melden und die Angehörigen begleiten. Sie sorgen auch dafür, dass das ärztliche und pflegerische Personal über die Bedeutung und den Prozess der Organspende informiert wird.

Was besagt die Zustimmungslösung?
Nur wenn der Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organentnahme zugestimmt hat, dürfen die Organe auch entnommen werden. Eine Zustimmung kann beispielsweise per Organspendeaus-weis oder durch eine mündliche Verfügung gegeben werden. In Deutschland gilt eine „erweiterte“ Zustimmungsregelung: Erweitert wird die Regelung dadurch, dass auch die Angehörigen oder vom Verstorbenen dazu bestimmte Personen berechtigt sind, über eine Entnahme zu entscheiden. Entscheidungsgrundlage ist der ihnen bekannte oder der mutmaßliche Wille des Verstorbenen.

In Deutschland ist diese erweiterte Zustimmungslösung noch durch eine Entscheidungslösung ergänzt worden. Warum?
Die 2012 vom Bundestag beschlossene Entscheidungslösung sieht vor, jeden Bürger mindestens einmal im Leben zur Bereitschaft für oder gegen eine Organspende zu befragen. Diese Entschei-dung soll dokumentiert werden. Dies könnte beim Ausstellen des Personalausweises oder des Füh-rerscheins geschehen. Ebenso ist eine Speicherung der Entscheidung auf der elektronischen Ge-sundheitskarte denkbar. 2012 hat der Bundestag die Krankenkassen verpflichtet, alle Bürger in regelmäßigen Abständen über die Organspende zu informieren und an sie zu appellieren, sich für oder gegen eine mögliche Spende zu entscheiden.

Andere Länder haben eine Widerspruchslösung. Warum gibt es sie in Deutschland nicht?
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat sich angesichts des Tiefststandes an Organspenden erneut für die Einführung einer Widerspruchslösung ausgesprochen. Hat der Verstorbene einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, etwa in einem Widerspruchsregister, können die Organe zur Transplantation entnommen werden. Dadurch wird der Kreis potenzieller Spender erweitert. Der Staat geht von einer generellen Bereitschaft zur Organspende aus. Diese gesetzliche Regelung gilt beispielsweise in Belgien, Österreich oder Spanien. Allerdings wird in den meisten dieser Länder nicht gegen den Willen der Angehörigen gehandelt. Kritiker halten sie für verfassungswidrig und kontraproduktiv, weil sie das Misstrauen in die Transplantationsmedizin noch erhöhen könnte.