Nicht allen Kindern wird vorgelesen – Feuerwehrmann Sam kann helfen
Vorlesen ist vielen aus der eigenen Kindheit vertraut. Doch Fachleute warnen, dass in Familien zu selten gemeinsam in Büchern und anderen Texten gelesen werde. Wie das besser und öfter gelingen kann.
Sie sind die Tür zu einer anderen Welt: Bücher, Comics und Zeitungen. Die Stiftung Lesen hält die Beschäftigung mit Texten für elementar – gerade für Kinder und Jugendliche. Daher kommt für die Bildungsexperten dem Vorlesen eine besonders wichtige Rolle zu. Eine Beschäftigung, die heute nicht als normal vorausgesetzt werden könne, sagt die Geschäftsführerin Programme der Stiftung Lesen, Sabine Uehlein.
“Wir müssen einfach anerkennen: In vielen Familien gehört das Vorlesen nicht dazu”, erklärt die Leseexpertin. Dennoch gebe es viele, die genau das voraussetzten. “Wenn ich die Zahlen nenne, in wie vielen Familien nicht vorgelesen wird, dann schauen mich die Menschen mit großen Augen an.” Uehlein sieht darin ein Beispiel für bevorzugten Umgang mit Menschen, die ähnliche Lebensweisen führen.
Sie rät dazu, ganz gezielt Texte nach den Interessen der Kinder auszuwählen und so ihre Neugierde zu wecken. Auch ein Film könne Anlass sein, um mit dem Vorlesen und Lesen zu beginnen. “Kinder stehen ganz stark auf Serienhelden, die sie aus Serien kennen – etwa Feuerwehrmann Sam”, berichtet sie.
“Das Vorlesen ist ein Impuls, den du deinem Kind geben kannst – von Anfang an”, sagt Uehlein. Damit erhalten Kinder Zugänge zu Themen und Wissen. Sie wirbt dafür, ein gemeinsames Ritual zu finden. “Damit lässt sich ein Rahmen finden, um über Alltagserlebnisse zu sprechen.”
98 Prozent aller Kinder schätzen nach Angaben der Stiftung das Vorlesen. Bei einem solch gemeinsamen Lesen in der Familie gehe es jedoch nicht darum, dass allein eine Person etwas vortrage und andere dabei schweigend zuhörten. Diese Vorstellung über das Vorlesen gelte es aufzubrechen.
Das familiäre Lesen könne auch für mehr Kuschelmomente sorgen. Das seien dann Situationen, die auch einmal Ruhe in den mitunter stressigen Alltag bringen. “Wenn das von Eltern als Erlebnis gespürt wird, dann sehen wir häufig, dass sich etwas verändert”, schildert Uehlein.
Bereits im Alter von wenigen Monaten lasse sich mit dem Vorlesen beginnen – anhand spezieller Babybücher. “Man fängt dann an, Sprache zu entwickeln – Banane, Elefant und so weiter”, führt Uehlein aus. Anhand von Abbildungen verknüpften kleine Kinder Wörter und Bilder zu einem Ganzen. Somit erschließe sich für sie ein Stück der Welt. “Ein Elefant, der läuft ja nicht einfach mal durchs Wohnzimmer. Das Buch ist dann ein Medium, um zu zeigen: Schau, das ist ein Elefant.”
Fotobücher seien für die gemeinsame Welt-Erschließung für Mädchen und Jungen ebenso geeignet wie der Werbeprospekt eines Supermarktes. “Das geht nicht nur auf Papier, sondern auch auf einem digitalen Gerät.” Für die Expertin gilt es, das Thema Sprachentwicklung durch das Vorlesen insgesamt zu stärken – mit den in Familien vorhandenen Instrumenten.
Hürden ließen sich etwa senken, wenn nicht erst ein auf Papier gedruckter Text besorgt werden muss. Auch Apps könnten sich nutzen lassen. Diese eigneten sich zudem gut für Wartezeiten, etwa beim Kinderarzt. “Es ist ja nicht jeder immer mit einem Buch unterwegs”, betont die Expertin.
“Der Vorlese-Begriff gehört runter vom Sockel”, fordert Uehlein. Entscheidend sei, wie man ins konkrete Handeln komme. Was jedoch gar nicht gehe, sei das Lesen als eine Form der Strafe für ein vermeintlich falsches Verhalten einzusetzen.
Persönlich treffe sie nie auf Vorlese-Skeptiker. Doch in vielen Haushalten seien nur sehr wenige Bücher vorhanden. “Wir müssen Bücher erreichbarer machen”, sagt die Stiftungschefin. Sie kooperiert daher etwa mit einer Fastfood-Kette und dem Einzelhandel. Man könne nicht erwarten, dass alle Familien in ihrer Freizeit Bücher entdecken gehen.
Ein entscheidender Faktor für das Vorlesen seien allerdings die Erfahrungen der Eltern. Wenn diese selber damit aufgewachsen sind, dann würden sie sehr wahrscheinlich ihren Kindern ebenfalls vorlesen, so Uehlein. “Ausschlaggebend ist: Haben sie das selbst erfahren.” Ein Fehler drohe Eltern aber auch im Erfolg – dann, wenn sie aufhörten mit dem familiären Vorlesen, weil die Kinder selbst lesen gelernt hätten.