Neue Schau in Augsburg beleuchtet Kleidung, Krieg und Literatur

Unter dem Titel „Kleider. Geschichten.“ zeigt das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg den Stoff-Nachlass des Schriftstellers Arno Schmidt und seiner Frau Alice. Zu sehen gibt es eindrückliche Überlebenskunst.

Sie glänzt elegant, wirkt edel – und ist doch nur ein Notbehelf. Die seidig weiße Bluse mit elfenbeinfarbenem Schimmer, die hier zu sehen ist, sie war nicht immer ein Kleidungsstück. Sie war zunächst einmal ein Zuckersack. Der spröde Stoff fühle sich an wie Plastik, sagt Susanne Fischer. „Man möchte das nicht anziehen.“

Fischer ist Geschäftsführerin der Arno-Schmidt-Stiftung aus dem niedersächsischen Eldingen. Die vom Publizisten und Mäzen Jan Philipp Reemtsma mitgegründete Stiftung erinnert an Leben und Wirken des Nachkriegsschriftstellers Arno Schmidt (1914-1979), bekannt vor allem für das Großwerk „Zettel’s Traum“. In Augsburg zeigt sie nun zusammen mit dem dortigen Staatlichen Textil- und Industriemuseum (tim) die Ausstellung „Kleider. Geschichten.“. Unter diesem Titel wird vom 22. März bis 13. Oktober der textile Nachlass der Schmidts präsentiert – unter anderem die angesprochene Bluse, ein selbst gefertigtes Teil Alice Schmidts (1916-1983).

„Diese Bluse ist typisch für die Nachkriegszeit“, erklärt Fischer. Wie etwa auch ein ebenfalls ausgestellter Morgenmantel, der aus Wolldecken genäht wurde. „Man hatte nichts, alles musste umgenutzt werden.“ Entsprechend gut sei die wertvolle Wäsche gepflegt und verwahrt worden. Wobei das Ehepaar Schmidt schon heraussticht, wie Fischer erzählt. Es bewahrte seine gesamte Kleidung demnach über die Jahrzehnte hinweg penibel auf. „Eine vergleichbare Sammlung ist mir nicht bekannt.“

Auch tim-Direktor Karl Borromäus Murr meint: „Das ist ein einmaliger Schatz.“ Deshalb brauche man auch keine spezielle Arno-Schmidt-Kenntnis, um die Schau zu besuchen. „Die Ausstellung ist unabhängig von dem Literaten lehrreich, weil sie zeigt, wie die Menschen im Nachkriegsdeutschland lebten und leben mussten.“ Veranschaulicht wird das im tim anhand von etwa 1.000 Objekten aus sechs Jahrzehnten. Darunter sind Kleidungsstücke aller Art, von Unterhosen über Bademode bis hin zu Schuhen.

Als Besucher nimmt man diese Dinge wahr, als ob man in einem verschlossenen Kleiderschrank hockte. Denn beleuchtet ist die Schau nur sparsam, und der auf dem Boden ausgelegte Teppich dämpft den Schall. Es ist, als steckte man mit dem Kopf zwischen Pullis, Hemden und Röcken, so reduziert nur erreichen Schritte und Getuschel anderer Leute das Gehör.

Eine weitere interessante Machart der Schau ist die Präsentation der Kleidung nicht etwa an Puppen, sondern liegend oder angelehnt. „So erscheint sie zweidimensional“, sagt tim-Direktor Murr. Das passe gut zum Thema Schrift und Wort, das im Blick auf den Schriftsteller Schmidt ja nicht unwichtig sei.

Also auf in jene Abteilung, in der es um den literarischen Umgang des Autors mit textiler Sprache geht. Schmidt hatte mit Kleidung nämlich mehr zu tun als diese bloß an- und auszuziehen. Er absolvierte seine kaufmännische Lehre einst in der Textilindustrie. Womöglich rührte daher folgende Arbeitsweise: Der Schriftsteller staffierte seine literarischen Figuren nach den Abbildungen in Versandmodekatalogen aus.

„Auch die Herstellung von Textilien spielt in Schmidts Romanen eine Rolle“, heißt es im Museum. „In ‚Kaff auch Mare Crisium‘ arbeitet die weibliche Hauptfigur Hertha als Musterzeichnerin in einer Textilfabrik; im utopischen Roman ‚Die Gelehrtenrepublik‘ lässt der Autor gar Seide von Schmetterlingsraupen mit Menschenköpfen produzieren.“

Außerdem formulierte Schmidt immer wieder Sprachbilder mit modischen Anleihen: „Graugeflickter Himmel“, schrieb er etwa, oder „Die reich gestickte Nachtmütze des Himmels“. Er textete „Schleierdünn schäumte eine weiß gefiederte Wolke über den Dächern dahin“ und: „Die feuchte schwarze Luft schlugen sie wie Mäntel um sich“.

Solche Zeilen zeigt das tim auf einer Leinwand, auf der sie per Computertechnik immer mal wieder etwas gezerrt dargestellt werden. Sie erscheinen also wie Stretchmaterial – eine hübsche Idee zur Verknüpfung von Worten und Stoffen. Es ist ja am Ende auch dasselbe – schließlich bedeutet Text dem lateinischen Ursprung nach Gewebe.