Neue Filme in Venedig von Luca Guadagnino und Pedro Almodovar

In Venedig feierten gerade Luca Guadagninos “Queer” und Pedro Almodovars “The Room Next Door” Premiere. Beide Filme kreisen um Figuren, die auf Abgründe zusteuern und die Nähe zu einem anderen Menschen suchen.

In , einer Verfilmung des gleichnamigen Kurzromans von William S. Burroughs um US-Bürger, die in den 1950er-Jahren in Lateinamerika leben, gibt es gegen Ende eine surreale Szene, in der die beiden Protagonisten – der drogenabhängige Lee (Daniel Craig) und sein jüngerer Geliebter Allerton (Drew Starkey) – quasi zu einem einzigen Körper verschmelzen. Die Arme und Hände gleiten nicht mehr über die Haut, sondern darunter, so als gäbe es zwischen ihnen keine Barriere mehr. Ob man das eher gruselig findet oder erotisch, liegt im Auge der Betrachterin; Regisseur Luca Guadagnino hält es in der Schwebe.

Für Lee, der den jüngeren Reisegefährten in Mexiko-Stadt kennenlernte und ihn im Verlauf dieses hochstilisierten Liebesdramas auf eine Tour durch Südamerika und in den Dschungel mitnimmt, ist es Zweck und Ziel ihrer Reise. Auch wenn ein Bleiben in dieser Blase der Zweisamkeit nicht möglich ist.

Der abgewrackte Gringo Lee hat schon länger die USA verlassen, weil er in Mexiko mit relativ bescheidenen Mitteln als Schriftsteller leben und ungestörter seiner Opiat-Sucht nachgehen kann. Wenn er nicht schreibt, driftet er von Drogen oder Alkohol beduselt durch die Straßen und schleppt in den Bars Bettgefährten für die Nacht ab. Bis er dem wesentlich jüngeren Allerton über den Weg läuft und gleich auf den ersten Blick wie von einem Blitz von der Liebe getroffen wird. Von da an sucht er wie von einem Magneten angezogen Allertons Nähe und schafft es schließlich auch, mit ihm intim zu werden.

Zugleich aber spürt er die Fliehkräfte, die auf diese ungleiche Liaison einwirken, weil Allerton längst nicht so stark involviert ist und sich immer wieder zu entziehen droht, was in den Sexszenen schön ins Bild gesetzt wird, bei denen Guadagnino die Kamera von der körperlichen Zweisamkeit abschweifen lässt auf die Fenster und die Stadtlandschaft davor, so als würde etwas unerbittlich von innen nach außen ziehen.

William S. Burroughs setzte mit “Queer” seinen autobiografisch gefärbten Roman “Junky” fort. Obwohl Guadagnino der literarischen Vorlage folgt, verwandelt er sie doch in etwas sehr Eigenes – eine schwule Liebesgeschichte, die zwar expliziter ist als sein furioser Film “Call Me by Your Name”, aber dennoch ähnlich romantisch und vor allem ähnlich feinfühlig in der Zeichnung der Unsicherheiten eines Liebenden, der darum bangt, welches Echo sein Begehren beim Gegenüber findet.

Stil spielt auch in von Pedro Almodovar eine tragende Rolle. Der jüngste Film des spanischen Altmeisters bescherte dem Filmfestival am Lido mit Julianne Moore und Tilda Swinton zwei weitere Diven auf dem roten Teppich. Moore und Swinton gaben indes nicht nur anlässlich der Premiere eine glamouröse Erscheinung ab, die eine in goldener Robe, die andere silbrig wie der Mond, sondern auch im Film.

Obwohl das zunächst einigermaßen unpassend erscheint, denn “The Room Next Door” ist ein eher unglamouröser Stoff: ein Sterbedrama um eine Krebskranke (Tilda Swinton), die mit Hilfe einer im Darknet organisierten Pille den schmerzhaften Sterbeprozess abkürzen will. Eine Freundin (Julianne Moore) soll sie dabei unterstützen – nicht um aktive Sterbehilfe zu leisten, denn noch kann die Kranke ihren Todeswunsch selbst in die Tat umzusetzen, sondern schlicht um da zu sein, im “Zimmer nebenan”, wenn sie die Pille schluckt.

Der Film begleitet die beiden Frauen, die beide alleinstehend und beruflich erfolgreich sind – die Kranke war eine bekannte Kriegsberichterstatterin, die Freundin ist eine erfolgreiche Schriftstellerin – auf ihrem letzten gemeinsamen Weg. Er führt sie hinaus aus New York, wo beide in wohlhabenden Verhältnissen leben, in ein nobles Ferienhaus irgendwo im Wald, das die Sterbende als Ort für ihren Tod ausgesucht hat.

Dort gehen die Freundinnen spazieren, reden, tauschen Erinnerungen und Erfahrungen aus und schauen sich alte Filme an: “Sieben Chancen” von Buster Keaton und “The Dead” von John Huston. Bis die Kranke sich schließlich entscheidet, dass sie für den letzten Schritt bereit ist.

Wenn jemand diesen Stoff zum großen Melodram ausbauen kann, dann Pedro Almodovar. Doch der verweigert sich hier auf auffällige Weise seinem Lieblingsgenre. Melodramatisch geht es in “The Room Next Door” nur in Rückblenden zu. Ein Handlungsstrang kreist um die Beziehung der Kranken zu ihrer entfremdeten Tochter und rollt genüsslich dick auftragend die tragisch endende Liaison auf, der diese Tochter entstammt.

Wenn es um den Suizid der Mutter geht, bleibt die Inszenierung dagegen geradezu cool und hegt den Sterbeprozess mit einem wahren Design-Overkill ein: Die Räume, in denen sich die beiden Freundinnen bewegen, sind perfekt durchgestylt, und auch die Erscheinung der beiden Frauen steht dem in nichts nach. Die Sterbende, so abgezehrt und so blass, dass sie fast durchscheinend wirkt, kann zwar die Krebszellen in ihrem Körper nicht unter Kontrolle halten, doch ihre Outfits und alles andere sehr wohl, und das bis zum Ende. Ihre Freundin findet sie schließlich tot auf einer Liege am Pool – so makellos arrangiert, als sei es ein Gemälde von Edward Hopper.

Diese Stil-Wütigkeit ist hier nicht nur Oberfläche, sondern hat Methode. Als Drama über das Thema Sterbehilfe und die aktuellen Debatten dazu bleibt der Film eher flach und hinterfragt die Entscheidungen der Protagonistin nicht wirklich. Doch als Hommage auf weibliche Gestaltungshoheit reißt “The Room Next Door” durchaus mit.

Almodovar und seine beiden Schauspielerinnen stellen mit Verve zwei Frauenfiguren aus jener Altersgruppe ins Zentrum, die im Kino lange Zeit nur als liebe Oma, schrullige Alte oder Hexe einen Platz fanden, und präsentieren sie als unabhängige und kluge Macherinnen, die ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gelebt und ausgekostet haben. Und anstatt den Protagonistinnen im Angesicht des nahen Endes Reue oder kathartische Erkenntnisprozesse abzuverlangen, feiert “The Room Next Door” schlicht ihre Solidarität untereinander.