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Neue Debatte über Praxisgebühr bei jedem Arztbesuch

Ende 2012 wurde sie bereits einmal für untauglich befunden. Jetzt diskutiert Deutschland wieder über eine Praxisgebühr. Die Argumente ähneln sich.

Milliardenlöcher bei Kranken- und Pflegeversicherung: Das deutsche Gesundheitswesen steht unter Druck. Um die Kosten zu vermindern und die Krankenkassenbeiträge zu stabilisieren, haben die Arbeitgeber eine alte Idee hervorgezaubert: Sie wollen unnötige Arztbesuche durch eine Praxisgebühr reduzieren. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beschreibt eine Debatte, die in den vergangenen Jahren immer wieder aufkam.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) plädiert für eine neue Art der Praxisgebühr. Geschäftsführer Steffen Kampeter schlug im Politico-Podcast eine sogenannte Kontaktgebühr vor, die bei jedem Arztbesuch fällig werden soll. Es gehe ihm dabei nicht zuerst darum, die Einnahmen der Kassen zu steigern, sagte Kampeter. Vor allem sollte das Ärzte-Hopping der Deutschen begrenzt werden. Zur Höhe der Gebühr äußerte er sich nicht.

Laut einer OECD-Statistik suchen die Deutschen durchschnittlich zehnmal pro Jahr eine Arztpraxis auf. Damit liegen sie deutlich über dem EU-Durchschnitt. Daneben sind die Bundesbürger berüchtigt für das Ärzte-Hopping, weil ihnen die gesetzlich zugesicherte freie Arztwahl erlaubt, fast nach Belieben Haus- und Fachärzte zu konsultieren. Ärztepräsident Klaus Reinhardt kritisierte im Mai, dass in bestimmten Regionen jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte habe.

Zwischen 2004 und Ende 2012 gab es sie schon einmal. Allerdings wurde sie nicht bei jedem Arztbesuch erhoben; Patienten zahlten zehn Euro pro Quartal. Das brachte den Krankenkassen Einnahmen von zwei Milliarden Euro. Dennoch schaffte der Bundestag sie ab.

Ihr Ziel, die Zahl der Arztbesuche zu reduzieren, wurde nur sehr begrenzt erreicht, wie auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz am Donnerstag betonte. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge sparten zudem besonders Patienten aus einkommensschwachen Schichten Arztbesuche ein, was möglicherweise negative gesundheitliche Auswirkungen hatte. Ärzteorganisationen sprachen zudem von einem Bürokratiemonster: Die Praxen mussten Quittungen ausstellen, Bargeld verwalten und Mahnverfahren einleiten. Außerdem luden Patienten ihre Wut über die Gebühr dort ab. Im Nachhinein bedauerten allerdings sowohl Ärztepräsident Klaus Reinhardt als auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann die Abschaffung der Praxisgebühr. Man hätte sie anders organisieren können, meinen sie.

In Schweden beispielsweise zahlen Versicherte seit 1970 eine sogenannte Patientenabgabe bei jedem Arztbesuch. Sie unterscheidet sich von Region zu Region und liegt aktuell bei durchschnittlich 18 Euro. Zugleich gibt es eine Höchstgrenze pro Jahr, die derzeit bei 130 Euro liegt. Außerdem gib es Ausnahmeregelungen für Senioren, Asylsuchende oder Empfänger von Erwerbsminderungsrenten.

Kritische Stimmen reichen von Ärzteverbänden über Patientenschützer bis zu den Gewerkschaften. Der Hausärzte-Verband spricht von einem unsozialen und komplett undurchdachten Vorschlag. Chronisch Kranke müssten die Gebühr dann Dutzende Male im Jahr bezahlen, sagte die Verbandsvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth. “Das würde insbesondere sozial Schwache finanziell komplett überfordern.” Auch würde eine solche Gebühr notwendige Arztbesuche verhindern, heißt es. Das könnte schwere gesundheitliche Folgen für die Patientinnen und Patienten haben, weil etwa Erkrankungen zu spät behandelt würden oder eine Vorsorgemaßnahme nicht stattfinde. Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler sagte dem ZDF: “Wer krank ist, muss zum Arzt oder zur Ärztin gehen können – ohne Angst vor zusätzlichen Kosten.” Eine Gebühr würde die soziale Schieflage in der medizinischen Versorgung weiter verschärfen.

Was die Einnahmen des Gesundheitssystems angeht, wird schon seit Jahren über höhere Steuerzuzahlungen, höhere Kassenbeiträge und die Schaffung einer Bürgerversicherung für alle Bürger diskutiert, in die auch Beamte und Selbstständige einzahlen und bei der auch Einkommensarten wie Kapitaleinkünfte oder Mieteinnahmen angerechnet würden. Auch eine zusätzliche private Absicherung wird immer wieder ins Spiel gebracht. Umgekehrt wird über Leistungskürzungen bei der Krankenversicherung debattiert – gegenwärtig beispielsweise über Karenztage bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Koalitionsvertrag sieht die Einführung einer auf den Hausarzt zentrierten Gesundheitsversorgung vor. Dabei soll der Hausarzt künftig für Patienten immer die erste Adresse für alle gesundheitlichen Probleme sein. Er entscheidet dann die weiteren Schritte – also etwa auch, ob ein Facharzt mitbehandelt. Auch bei diesem Modell wurde in den vergangenen Monaten über mögliche Eigenbeteiligungen debattiert: Wer sich nicht an die Vorgaben halte und direkt zum Facharzt gehe, ohne vorher den Hausarzt zu konsultieren, sollte künftig höhere Zuzahlungen leisten, schlug etwa die Bundesärztekammer vor.