Neue Chancen für Dessau

UK 5/2019, Bauhaus (Seite 11: „Funktional und ohne jeden Schnörkel“)
Von 1970 bis 1973 habe ich im Bauhaus Dessau Maschinenbau studiert. Wenn ich die Bilder sehe, wird mir warm ums Herz, denn ich wohne seit 30 Jahren nicht mehr in dieser Stadt. Die Menschen sind mir fremd geworden, sie sind gealtert so wie ich.
Ich mag nicht mehr zurückziehen, aber ich wünsche den Menschen dort, die mit anderen aus aller Welt wenig Übung bisher haben, dass sie spüren, dass sie in diesem Jahr und dem weiteren, 2025, gute Gastgeber, freundlich aufgeschlossen für jedermann, sein können.
Die Diktaturjahre haben hässliche und auch angstvolle Spuren hinterlassen, die immer noch spürbar, aber nicht unüberwindbar sind. Der Zahn der Zeit wird dabei helfen, alte Wunden zu schließen. Es ist wichtig, den Menschen dort Zeit zu geben, es hat auch Vorteile, wenn sie nicht zu allem Neuen gleich „Hurra!“ schreien und alles Vertraute über Bord werfen. Sie haben ihre eigene Geschichte und möchten mit dieser respektiert werden und über ihre Erfahrungen auch gern mit denen sprechen, die auf andere Lebensstationen zurückblicken. Darauf haben sie ein Recht.
Vielleicht ergeben sich ganz neue Chancen für das innovative Interesse an dieser Stadt aus diesem Jubiläum, so, wie es auch ab 1925 mit vielen neulandsuchenden Geistern und ihrem unerschrockenen Forscherdrang in der Industriestadt an Elbe und Mulde geschah, was auch niemand, zumal 1933 mit dem Einzug der Nazis Schluss war, voraussehen konnte.

Marion Gitzel, Münster