In der historischen Disney-Serie “Chief of War” malt der Produzent und Hauptdarsteller Jason Momoa seiner Heimat Hawaii ein brutales Schlachtengemälde. Für Action- und Muskelfans passt das.
Der Naturzustand ist alles andere als paradiesisch. Wo nach den Gesetzen des Dschungels das Recht des Stärkeren herrscht, führt Herbert Spencers Lehre vom “Survival of the fittest” in unerbittliche Verteilungskämpfe. Gut 100 Jahre, bevor die USA den Archipel 3800 Kilometer südwestlich der kalifornischen Küste 1898 annektiert haben, bildet Hawaii hier keine Ausnahme, im Gegenteil. So unberührt die 137 Inseln damals waren: Seine Ureinwohner haben das vulkanische Eiland zur Hölle auf Erden gemacht.
Zumindest, wenn man der Apple-Serie “Chief of War” glaubt. Optisch von spektakulärem Liebreiz, war der besiedelte Teil Ende des 19. Jahrhunderts Schauplatz eines erbarmungslosen Gemetzels um Macht, Ressourcen, Titel. Und stets mittendrin: Kriegsfürst Ka’iana, den Mauis König Kahekili mit einer List aus dem selbstgewählten Exil holt und davon überzeugt, in seinem Auftrag das Fürstentum O’ahu anzugreifen. Nach 45 Minuten von acht Stunden Historytainment, verwandelt Regisseur Justin Chon das hawaiianische Idyll also erstmals in ein Blutbad.
Wenn fünf Dutzend Krieger in weniger als drei Minuten nach allen Regeln der Splatter-Kunst abgeschlachtet werden, ist selbst das noch steigerungsfähig. Denn während Ka’iana trotz aller militärischen Härte stets nobel bleibt, lässt Kahekili nach gewonnener Schlacht unbewaffnete Bauern und ihre Kinder niedermetzeln – obwohl sie auf geweihter Erde eines göttlichen Refugiums stehen, wie einer seiner Offiziere anmahnt.
Als der König daraufhin entgegnet: “Dann haben es ihre Körper ja nicht weit”, sind die Fronten des Achtteilers langfristig geklärt. Auf der einen Seite Tyrannen wie Kahekili (Temuera Morrison) und seine Schergen, deren Terrorregime buchstäblich über Leichen geht. Auf der anderen Seite Philanthropen wie Ka’iana und seine Getreuen, die den Bösen in Sachen Brutalität zwar durchaus Paroli bieten, aber das Gute wollen. Es ist eine Paraderolle für Jason Momoa. Wobei er hier noch mehr Gründe zur Titelfigur hat.
Hollywoods tribalistische Allzweckwaffe wurde nämlich nicht nur vor 36 Jahren in Honolulu geboren; sie ist auch der bekannteste Botschafter des hawaiianischen Selbstwertgefühls als eigenständige Nation, die im geschichtlich überlieferten Kontext der Serie Gestalt annahm. Momoa spielt daher nicht nur den realexistierenden Warlord Ka’iana; er hat die Serie auch produziert, gemeinsam mit Thomas Pa’a Sibbett das Drehbuch geschrieben und bei der letzten Folge sogar Regie geführt.
“Chief of War” ist zweifelsohne ein Herzensprojekt tief aus der Magengrube des gutgebuchten Actionstars. So löblich es ist, die Geschichte der hawaiianischen Staatenbildung ab 1782 praktisch ausnahmslos mit Eingeborenen zu besetzen, die vorwiegend im untertitelten Heimatidiom olelo Hawai’i reden: “Chief of War” verliert sich regelmäßig in einer stereotypen Kaskade bombastisch inszenierter, billig erzählter Genre-Klischees. Zu Hans Zimmers Überwältigungsmusik kreist die Kamera daher ein gefühltes Seriendrittel über dem Naturschauspiel der Vulkaninsel. Wobei die Dreharbeiten komplett auf Neuseeland stattfanden.
Die restlichen 66,6 Prozent verwendet Apple TV auf ein vormodernes Intrigantenstadl, in dem rivalisierende Clans um die Alleinherrschaft kämpfen. Abzüglich der ebenfalls überlieferten Eindringlinge wie dem englischen Militärberater John Young (Benjamin Hoetjes) erinnert das verteufelt an “Game of Thrones”, in dem Jason Momoa einst seinen Durchbruch feierte. Wobei der größte Unterschied zum Atilla-Verschnitt Khal Drogo darin besteht, dass Momoa als “Chief of War” offiziell seine hawaiianischen Tattoos zeigen darf.
Während das weibliche Personal von “Game of Thrones” mitunter mächtiger als Männer sein durfte, ziehen Momoas Hawaiianerinnen wie Ka’ianas Gattin Kupuohi (Te Ao o Hinepehinga) zwar in die Schlacht, treffen dort allerdings vorwiegend beziehungsspezifische Entscheidungen. Den Bechdel-Test zur Erkundung fiktionaler Gleichberechtigung besteht daher nicht mal Ka’ahumanu (Luciane Buchanan), die Zukünftige des späteren Einheitskönigs Kamehameha (Kaina Makua). In der historischen Realität war sie recht einflussreich. Hier hingegen wird sie wie alle Frauen zum Accessoire muskelbepackter Helden degradiert.
Überhaupt – der Look! So grandios die Landschaften, Bilder und Kostüme auch sind: Dass darin gern in Zeitlupe gerungen wird und der edle Kamehameha dem Meer schon mal unter dem Regenbogen entsteigt, wirkt oft unfreiwillig komisch. Bei allem Schauwert ist “Chief of War” ungefähr so stereotyp wie sein Genre und erinnert auch deshalb an Mel Gibsons Gewaltexzesse auf Aramäisch (“Die Passion Christi”) oder Mayathan (“Apocalyto”). Fragt sich nur, ob diese Kritik nicht eurozentristisch geprägt ist.
Das hawaiianische Nation Building strikt aus Sicht der Urbevölkerung und ihrer Nachkommen zu erzählen, verbietet es Außenstehenden womöglich, über die Eigendarstellung Innenstehender zu urteilen. Aus deren Sicht ist “Chief of War” also vielleicht auch einfach nur radikal ehrlich. Radikal brutal ist die Serie aber in jedem Fall.