Nerdchurch: Mit viel „Nerdstenliebe“

Anna Dietz hat Theologie studiert und arbeitet derzeit für den Deutschen Evangelischen Kirchentag. Im Gespräch mit Bernd Becker wirbt sie für mehr Offenheit für die Popkultur in der Kirche.

Anna Dietz hat den Ausdruck der „Nerdstenliebe“ erfunden.
Anna Dietz hat den Ausdruck der „Nerdstenliebe“ erfunden.Privat

In sozialen Medien nennen Sie sich Popkulturtheologin. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Anna Dietz: Zunächst einmal spiele ich gern Computerspiele. Und ich schaue mir gern Filme und Serien an, vorzugsweise mit Superhelden oder aus dem Bereich Fantasy. „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“ mag ich sehr. Als Theologin liebe ich es, solche Fantasiewelten mit biblischen Erzählungen und theologischen Fragen zu verknüpfen. Ich bin überzeugt davon, dass man damit viele Menschen erreichen kann, und zwar nicht nur Jugendliche. Manchmal gibt es für Konfirmandinnen und Konfirmanden solche Angebote, etwa einen Filmgottesdienst oder Computerspiel-Nachmittage. Ich selbst bin aber zum Beispiel 35 Jahre alt, und mich würde das auch interessieren. Es ist schade, dass ich als Erwachsene in dieser Richtung kaum etwas finde.

So sind Sie darauf gekommen, selbst Angebote zu machen?
Ja, ich habe zum Beispiel beim Kirchentag in Dortmund zu einem Harry Potter Bibliodrama eingeladen. Da gab es so einen großen Andrang, dass ich den Workshop gleich am nächsten Tag noch einmal anbieten sollte. Wieder war die Veranstaltung überfüllt, obwohl gar keine Werbung dafür gemacht werden konnte. Ich habe eine Ausbildung zur Bibliodrama­leiterin gemacht und, gemeinsam mit einem guten Freund, viel Herzblut in die Vorbereitung gesteckt­. Das hat sich gelohnt. Meine Erkenntnis: So etwas kommt super gut an, davon wird mehr gebraucht. In Nürnberg biete ich einen „Herr der Ringe“-Workshop an.

Über Jugendarbeit zum Theologiestudium

Sie können als Mitarbeiterin des Kirchentages also Ihr Interesse für Popkultur einbringen?
In Nürnberg bin ich als Eventmanagement für einen großen Bereich der Kultur wie Rock Pop, Singer-Songwriter, Jazz, Folk und Blues zuständig. Ebenso für Literatur, Poetry Slam, Theater, Musiktheater und Tanz. Zusätzlich organisiere ich alle Veranstaltungen zum Thema „Neues Geistliches Lied“ sowie „Lobpreis und Worship“. Um Chöre, Oratorien und das Zentrum Kirchenmusik kümmert sich eine Kollegin, die klassische Musik ist einfach nicht mein Metier. Aber meine Aufgabe passt zu mir. Leider endet mein Vertrag mit dem Kirchentag im Juli. Dann weiß ich noch gar nicht, wie es weitergeht.

Wie kamen Sie überhaupt zur Theologie?
Mir war das nicht in die Wiege gelegt. Schon als Teenager hab ich für Fantasy-Filme geschwärmt, hatte eine Gothic-Phase und war beim Rockfestival in Wacken. Aber daneben habe ich auch mit Begeisterung bei der evangelischen Jugend mitgemacht, bin zum Kirchentag gefahren und habe die Juleica erworben, den Ausweis für ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mir wurde irgendwann klar: Ich möchte Nächstenliebe in Wort und Tat weitergeben. Dazu habe ich den Begriff „Nerdstenliebe“ erfunden. Ein Wortspiel. Nerds sind ja Menschen mit Spezialinteresse, leider zu Unrecht oft als Sonderlinge angesehen. Aber Nerds wie ich können sich eben extrem für eine Sache begeistern. Und für mich ist das die Nächstenliebe, wie Jesus sie schon gepredigt hat. Das darf keinesfalls zu einer Werkgerechtigkeit führen, im Sinne von: Seht mal, wie toll ich bin! Nein, es geht darum, dass wir Menschen liebevoll miteinander umgehen. Dass wir nicht bloß sagen „Gott liebt dich“, sondern die Liebe auch im Alltag zeigen.

Zwischen Gaming, Popkultur und Theologie

Gab es denn im Studium schon Berührungspunkte zwischen Theologie und Popkultur?
Da gab es zum Beispiel die Seminare von Michael Waltemathe an der Ruhr-Universität in Bochum. Es wurde von dem Computerspiel „Resistance: Fall of Man“ berichtet, das zum Teil in der Kathedrale von Manchester spielt. Zunächst gefiel das der Kirche von England gar nicht, aber plötzlich merkten sie, wie viele junge Menschen zu der Kirche pilgerten. Sie wollten live sehen, was sie aus dem Game kannten. In einem anderen Seminar habe ich mich mit Geistlichen in Videospielen befasst. Es gab ein Spiel, in dem musste man 40 Tage lang in der Wüste Prüfungen bestehen, um am Ende Priester werden zu können. Das fand ich sehr spannend. Ebenso die Hinweise auf christliche Symbole in dem Spiel „Legend of Zelda“.
Mein Vater hat Informatik und Mathematik studiert, das prägt einen natürlich. Ich hab schon am PC getippt, als ich noch nicht einmal lesen konnte und fand es großartig. Ich war früher das einzige Mädchen in meiner Klasse, das einen Gameboy hatte. Ich habe „Pokémon“ und „Tomb Raider“ gespielt. Die Heldin dieses Spiels, Lara Croft, hat mir gefallen. Sie ist eine unabhängige Frau, die Abenteuer erlebt und sich nichts sagen lässt. Das fand ich stark.

Möchten Sie denn auch künftig in der Kirche arbeiten?
Ja, das wünsche ich mir sehr, aber es ist nicht einfach. Ich musste aus gesundheitlichen Gründen mein Vikariat in Hessen-Nassau kurz vor den Prüfungen abbrechen und habe deshalb kein zweites theologisches Examen. Ende Juli stehe ich erstmal auf der Straße. Meine ersten Versuche, in einer anderen Landeskirche unterzukommen, waren erfolglos. Dabei würde ich auch mein Vikariat und das Examen nachholen. Ich bin also derzeit eine Popkultur-Theologin auf Jobsuche und habe ganz viel „Nerdstenliebe“ zu bieten.