Nairobi erlebt die Renaissance einer Musikmetropole

In den 1970er Jahren war Nairobi ein Musik-Mekka. Die Musik half dem jungen Staat nach der Unabhängigkeit, eine Identität zu bilden. Nach einer langen Flaute rappelt sich die Szene jetzt wieder auf.

Der Musiker Eddie Grey von der Band "Jazztified" spielt ein Gitarrensolo in der Geco Cafebar in Nairobi
Der Musiker Eddie Grey von der Band "Jazztified" spielt ein Gitarrensolo in der Geco Cafebar in Nairobiepd-bild / Birte Mensing

Je später der Abend, desto mehr Menschen drängen sich im Geco Café in Nairobis schickem Stadtteil Lavington. Sie wippen mit, tanzen, während sich die Band „Jazztified“ an diesem Freitagabend in musikalische Ekstase spielt. Saxophon, Trompete, Keyboard, Schlagzeug, Kongas, E-Bass und E-Gitarre. Die Gitarre spielt Eddie Grey, der aus Nairobis Musikszene nicht wegzudenken ist. Eine seiner E-Gitarren hat die Form des afrikanischen Kontinents. Dort, wo Kenia liegt, sind auf dem Instrument die Drehknöpfe, mit denen er den Sound einstellen kann.

In Kenia umgibt einen überall Musik – aber sehr unterschiedliche: Hip-Hop und das daraus entwickelte Genre Gengetone scheppert in den Matatus, den bunten Bussen Nairobis, aus den Boxen. Auf dem Land laufen auch Interpreten, die in ihren Muttersprachen traditionellere Lieder singen. Afropop und Afrobeats sind angesagt in den unzähligen Bars und Clubs der Hauptstadt – jeden Monat eröffnen neue.

Traditionelle Musik ist an fixe Rhythmen gebunden

„Wir suchen noch unseren ganz eigenen Sound“, sagt Eddie Grey. „Nairobi erlebt gerade seine Renaissance als Musikstadt.“ Die langen, filigranen Dreadlocks trägt er zurückgebunden. Er beobachtet die Musikszene seit vielen Jahren, 2009 hat er sein erstes Album veröffentlicht. Jazz ist seine Leidenschaft, weil im Jazz für ihn die Freiheit liege, unterschiedliche Musikstile zu verbinden. Traditionelle Musik in Kenia ist – wie oft auch Jazz – meist nicht an fixe Harmonien, Tonleitern oder Rhythmen gebunden.

Die 28-jährige Sängerin Sharon Liboi auf einer Bühne in Nairobi
Die 28-jährige Sängerin Sharon Liboi auf einer Bühne in NairobiSharon Liboi

Das erste Musikstudio in der kenianischen Hauptstadt eröffnete in den 1930er Jahren. Es legte den Grundstein für den späteren Boom: Nach der Unabhängigkeit 1963 entwickelte sich Nairobi zu einem „Mekka der Musikwelt“, wie Grey es nennt. Musiker aus Südafrika, dem Kongo, Simbabwe kamen, um hier aufzunehmen. Kenianische Bands gingen international auf Tour. „Benga“ war der angesagte Stil, mit einprägsamen Melodien und tanzbaren Rhythmen. Die Musik half dem jungen Land, eine Identität zu bilden.

Machthaber Arap Moi ließ Musik verbieten

Doch dann kam 1978 Daniel Arap Moi an die Macht und schränkte nach und nach das soziale und kulturelle Leben ein. Mit harter Hand regierte er bis 2002, Kenia wurde nach einer Verfassungsänderung Anfang der 1980er offiziell ein Ein-Parteien-Staat. Musik musste – wie alles andere auch – dem Staatsprojekt, seinem Projekt, dienen. Sie konnte weder experimentell noch kritisch sein. Musik aus dem Kongo verbot er. Musiker wurden verhaftet, unter dem Vorwurf, sie betrieben politische Mobilisierung.

Als Grey in den 1980er Jahren aufwuchs, spielte sein Vater oft alte Kassetten aus den 70er Jahren ab. Kenianische Bands, aber auch Musiker aus dem Kongo liefen rauf und runter. Er war zehn Jahre alt, als sein Bruder ein Keyboard mit nach Hause brachte. Eddie Grey brachte sich das Klavierspielen bei, lernte in der Kirche Schlagzeug und Bass. Mit 15 bekam er dann eine Gitarre in die Hände – und gab sie nicht mehr her, so erzählt er es.

Er schnappte sich den elterlichen Kassettenspieler und verzog sich damit in sein Zimmer und versuchte, so genau wie möglich nachzuspielen, was er hörte. Erst viele Jahre später las er über Musiktheorie, brachte das, was er sich erarbeitet hatte, in einen Kontext.

Im Verlauf der 90er Jahre begann Kenia, sich langsam politisch – und musikalisch – wieder zu öffnen. „Es hat lange gedauert, bis sich in Kenia wieder künstlerische Freiheit entwickelt hat“, sagt Eddie Grey. In seinen Sessions bringt er oft Musikerinnen und Musiker ganz unterschiedlicher Hintergründe zusammen. „Ich bin immer auf der Suche nach spirituellen Gemeinschaftsmomenten in der Musik“, sagt der Gitarrist. Und davon gibt es immer mehr: Die Entwicklung einer Musikindustrie ist in Kenia vollem Gange.

Immer mehr junge Menschen machen Musik

Musikerinnen und Musiker aus Nairobi sind in den vergangenen Jahren weltweit unterwegs gewesen, zum Beispiel die Afropopband Sauti Sol, die 2023 auch durch Europa und Amerika getourt ist. Dazu kommen immer mehr junge Leute, die Musik machen. Eine davon ist Sharon Liboi. Sie tritt mit einem Gitarristen und einem Perkussionisten auf, ihre kreativen Bühnenoutfits und die großen Ohrringe fallen auf. Egal ob auf kleinen oder großen Bühnen, sie zieht das Publikum in ihren Bann und bringt es zum Tanzen.

 

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Die 28-Jährige sagt: „Wir haben mit den ganzen Einflüssen von außen unseren eigenen Sound verloren.“ Die traditionelle Musik sei nicht mehr weitergegeben worden, Musik aus den USA sei zum wichtigsten Einfluss geworden. „Ich versuche, zu unserer Kultur zurückzufinden und sie dann mit dem Heute zu verbinden“, sagt die Musikerin.

Dass die Musikindustrie in Kenia wächst, kann sie nur bestätigen. „Aber als Frau ist es hart“, urteilt Liboi. Männer hielten die Kontrolle über viele Bereiche in der Hand, nutzten junge Frauen aus, berichtet sie. Doch durch Workshops und Austausch untereinander bauen sich auch Musikerinnen ihre eigenen Marken auf. Und tragen so dazu bei, dass Nairobi sich wieder zu einer selbstbewussten Musikmetropole entwickelt – wo der Takt der Musik den Puls der Stadt bestimmt.