Nahrungsergänzungsmittel für Jugendliche – gefährlicher Hype?

Kapseln, Pillen und Pulver, die biologische Wunder versprechen, boomen in den Sozialen Medien. Was wie wirkt, ist für Laien schwer durchschaubar. Verbraucherschützer kritisieren diesen Markt als völlig unreguliert.

Lange richtete sich die Werbung für Schlankmach-Pillen und Vitaminpräparate eher an die Semester 50 plus. Mit Hilfe von Social-Media-Plattformen wie TikTok und Instagram hat sich die Zielgruppe allerdings erheblich vergrößert. Unter Jugendlichen erlebt das Kapsel-Schlucken derzeit einen regelrechten Hype. Manche Influencer – also Personen, deren Profile besonders viele Follower erreichen – sind sehr aktiv bei der Werbung für die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, die beim Abnehmen helfen sollen, Haut und Haare verschönern oder auch einen konstanten Energieschub versprechen.

Belegt sei die versprochene Wunderwirkung in vielen Fällen nicht – anders als die gesundheitlichen Risiken, die mit einer Einnahme bestimmter Präparate einhergehen können, sagt Christa Bergmann von der Verbraucherschutzzentrale Sachsen-Anhalt. Zusammen mit den Geschäftsstellen in Sachsen, NRW und Hessen ist Sachsen-Anhalt federführend bei dem Projekt „Klartext Nahrungsergänzungsmittel“. Auf der gleichnamigen Homepage wird umfassend über wissenschaftliche Erkenntnisse zu Wirkungen und Risiken der Präparate informiert.

„Die meisten Verbraucher gehen davon aus, dass Produkte, die in Deutschland verkauft werden dürfen, absolut sicher sind. Dabei gibt es kein nationales Prüfverfahren bei Nahrungsergänzungsmitteln ähnlich dem der Lebensmittelaufsicht“, erklärt Bergmann. Deshalb sei es immer ratsam, sich vor der Einnahme von einem Arzt oder Apotheker beraten zu lassen.

Außerdem könnten bei gleichzeitiger Einnahme mit medizinisch verordneten Medikamenten Wechselwirkungen auftreten. Die Verbraucherzentralen fordern deshalb die Einrichtung einer öffentlichen Meldestelle, die bekannte Wechselwirkungen dokumentiert.

„Uns ist der Fall einer Frau bekannt, die für mehr Energie ein Präparat mit Kalium eingenommen hat. Da ihr gleichzeitig Blutdrucksenker verordnet waren, kam es zu massiven Herzproblemen“, berichtet die Expertin. Auch Substanzen wie Monaculin K, gewonnen aus Rotschimmel mit der Wirkung eines Cholesterinsenkers, oder Sprays, Tabletten und Pflaster mit dem Hormon Melatonin, das beim Einschlafen helfen soll, sieht Bergmann kritisch.

Sinnvoll wären gesetzlich geregelte Höchstdosierungen, ergänzt Friederike Schmidt, Ernährungswissenschaftlerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ernährungsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. Denn auch wenn Vitamine und Pflanzenextrakte grundsätzlich natürlich nicht schädlich seien – „man kann durchaus zu viel davon nehmen“, betont die Fachfrau. Zu viel Vitamin D könne beispielsweise erst zu Übelkeit und auf lange Sicht zu einer Nierenschädigung führen.

Außerdem gelte bei Nahrungsergänzungsmitteln nicht die Regel „Viel hilft viel“, so Schmidt: „Wenn der tägliche Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen durch die normale Ernährung abgedeckt ist, bringen zusätzliche Pillen keinen Mehrwert, keine Leistungssteigerung.“

Die Werbung in den Sozialen Netzwerken ist aus Sicht beider Expertinnen problematisch, weil eine extrem große Gruppe junger Menschen erreicht wird. Grundsätzlich können Produkte erst einmal auf den deutschen Markt kommen, ohne ein Zulassungsverfahren zu durchlaufen. Die Masse der Aussagen, die durch das Netz geistern, kann zudem von den zuständigen Behörden kaum überprüft werden.

Anders als für das Anbieten der Kapseln, Pillen und Pulver gibt es für das Werben klare Vorgaben durch das Heilmittelwerbegesetz (HWG). Diese können aber ziemlich leicht umgangen werden, sagt Christa Bergmann. Ohnehin sei der Rechtsrahmen in Sachen Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland absolut ungenügend. Leider sperre sich die Herstellerlobby unter anderem gegen die Etablierung einer Positivliste. „So eine Liste wünschen wir uns schon lange“, sagt Bergmann. „Sie gäbe klar vor, welche Stoffe geprüft sind und verwendet werden dürfen.“

Solange es diese Regulierungen nicht gibt, wird weiter fleißig geworben. Bei allen Veränderung beobachtet die Verbraucherschützerin eine Konstante: Die größte Konsumentengruppe der vermeintlichen Wundermittelchen ist immer noch weiblich, akademisch und über 50 Jahre.