Nachdenken über die Städte der Zukunft – Wie wollen wir leben?

Deutsche Städte haben viele Problemzonen. Alternde Gesellschaft, Klimakrise und Verkehrsinfarkt zwingen zum Umdenken. Wie das gehen könnte, beschreibt ein neues Buch.

Zu laut, zu voll, zu teuer: “Wir leben in Städten, die uns Zeit und Nerven kosten und häufig wirken, als wären sie nicht für Menschen gemacht: steigende Mieten, zu viele Autos, zu wenig Grün und wo man hinsieht Dauerbaustellen.”

Die Diagnose von Gabriela Beck, Expertin für Stadtplanung und Zukunftstrends im Wohnungsbau, ist ernüchternd. So wie die Städte in Deutschland seien, könnten sie nicht bleiben, unterstreicht sie: Schon die Klimakrise mit Starkregen und Hitzeperioden zwingt zu radikalen Veränderungen. Aber auch die Alterung der Gesellschaft, die Digitalisierung und die Energiekrise verbieten ein Weiter-so. Doch darin liegt auch eine Chance, schreibt die Münchner Journalistin in ihrem am Mittwoch im Kösel-Verlag erschienenen Buch “Wie wir wohnen wollen”.

Die Perspektive ist klar: Die Menschen zieht es weiter in die Städte, weil sie sich dort bessere Arbeitsmöglichkeiten, mehr Kultur, Abwechselung und mehr Komfort erhoffen. Prognosen der UN zufolge werden 2050 bis zu 70 Prozent der Weltbevölkerung in Metropolen leben. In Deutschland sind es heute schon knapp 78 Prozent, Tendenz steigend.

Ein Patentrezept kann und will auch Beck nicht liefern. Denn jede Stadt besitzt nach ihren Worten ihre spezielle “Eigenlogik” – lokale Eigenheiten aufgrund der jeweiligen Stadtkultur, die sich unter anderem aus der baulichen Struktur, der Geschichte und dem nach außen transportierten Image zusammensetzt. “Man könnte auch sagen: Jede Stadt hat ihre eigene Persönlichkeit.”

Deshalb beschreibt die Stadtplanungsexpertin vor allem positive Einzelbeispiele, die belegen, dass schon jetzt eine Menge möglich ist, obwohl der Weg zu einer gesunden, gerechten und sozial gemischten Stadtgesellschaft noch weit ist. Dass Veränderungen prinzipiell möglich sind, zeigt aus Sicht der Autorin ein Blick zurück: auf die Durchsetzung der autogerechten Stadt der 1950er Jahre, die nach ihren Worten “auf das Rollenbild des Mannes als Familienoberhaupt und Alleinernährer ausgelegt war”.

Entscheidend für eine zukunftsfähige Neugestaltung ist aus ihrer Sicht, “verfestigte, oft machtgesteuerte Entscheidungsmuster und Prinzipien immer wieder aufs Neue zu hinterfragen”, damit diese nicht einfach an den aktuellen Bedürfnissen der Menschen vorbei weiter reproduziert würden. Zwar gebe es schon jetzt Formen der Bürgerbeteiligung – doch häufig erst, wenn grundlegende Entscheidungen bereits getroffen seien.

“In Zukunft werden wir uns viel ausführlicher als bisher damit beschäftigen müssen, wer für wen oder mit wem plant. Wir werden genauer hinschauen müssen, wer was finanziert, wer Zugriff auf welche Daten bekommt, wer wen an was beteiligt. Und welche Absichten und Ambitionen jeweils dahinterstecken”, schreibt Beck.

Den Bauplan für den Wandel müssten alle gemeinsam erarbeiten, fordert sie und verweist auf Partizipationsmodelle in Toronto und Kopenhagen. Projekte müssten in einzelnen Stadtteilen erprobt werden – eine bisweilen konflikthafte und anstrengende Arbeit. Abstrakte Planung auf dem Reißbrett und große technokratische Lösungen funktionierten nicht, wie ambitionierte Projekte von Le Corbusier in Indien bis Oscar Niemeyer in Brasilien zeigten.

Vom großen Wurf rät die Autorin ab: “Wichtig ist es, überhaupt einmal anzufangen” – mit Experimenten und fassbaren Projekten vor Ort. Die Stadt brauche “ein gewisses Maß an Elastizität, damit sich Spielräume zur Improvisation öffnen”. Bestehende Räume müssten uminterpretiert und neu definiert werden, schreibt Beck und verweist etwa auf das Projekt Zukunftsstadt Lüneburg 2030, in dem in 15 Experimenten unter anderem untersucht wird, wie historische Hinterhofgärten der eng bebauten Altstadt im Zuge der Klimaanpassung gemeinschaftlich reaktiviert werden können, ohne den Denkmalschutz zu vergessen.