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Nach Missbrauchsstudie: Ruf nach Kulturwandel in evangelischer Kirche

Ein Jahr ist es her, dass eine bundesweite Studie das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche offenbarte. Wie steht es heute um die Aufarbeitung? Nicht gut, meint die Unabhängige Missbrauchsbeauftragte.

Ein Jahr nach Veröffentlichung einer bundesweiten Missbrauchsstudie sieht die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung noch keine ausreichenden Bemühungen um einen Kulturwandel in der evangelischen Kirche. “Nur weil man einen Maßnahmenplan erarbeitet hat, weil man über Anerkennungszahlungen debattiert und weil man Fortbildungen intensiviert, löst man noch keinen Kulturwandel aus”, sagte die Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Ein Kulturwandel lässt sich nicht über Beschlüsse herbeireden.”

Kultur verändere sich, indem einem Thema Raum gegeben werde auf allen Ebenen – von der Gemeinde über die Synoden bis zur Kirchenleitung. Das sei bislang beim Thema sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend der Fall.

Die Studie für den Bereich der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie war am 24. Januar 2024 von unabhängigen Forschern in Hannover vorgestellt worden. Sie hatte in kirchlichen Akten Hinweise auf 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte seit 1946 ausgemacht. Zudem stellte sie Kirche und Diakonie im Umgang mit Missbrauchsfällen ein schlechtes Zeugnis aus.

Als Reaktion beschloss im November das Parlament der EKD, die Synode, mehrere Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt. So sollen etwa eine zentrale Ombudsstelle für Betroffene geschaffen und Personalakten künftig nach übereinstimmenden Standards geführt werden. Ein Verfahren für bundesweit einheitliche Anerkennungszahlungen für Betroffene wurde vorgestellt. Es soll im Frühjahr verabschiedet werden.

Claus sagte: “Viele der Maßnahmen, die beschlossen wurden, sind richtig und wichtig.” Allerdings sei der vorgesehene Zeitraum von bis zu vier Jahren für die Umsetzung zu lang. Die Forderung nach einer Ombudsstelle beispielsweise hätten Betroffene schon 2018 erhoben. Auch sei es “desaströs”, dass ein bundesweit einheitliches Verfahren für Anerkennungszahlungen nicht schon längst beschlossen sei.