Nach Corona, Hochwasser und Mückenplage jetzt die Schweinepest

Ein gutes Schweineleben sollten die Bunten Bentheimer haben, die Thomas Antony südlich von Mainz in Freilandhaltung züchtet. In seinem Betrieb in Selzen hatte der Landwirt ihnen nicht nur ein Gelände mit jeder Menge Auslauf eingerichtet. Im Unterschied zu konventionellen Schweinemastbetrieben hält Antony die Tiere auch doppelt so lange, bevor er sie von einem benachbarten Metzger schlachten und verarbeiten lässt. Doch seit mittlerweile knapp zwei Monaten ist im „Schweineparadies Selztalhof“ nichts mehr, wie es war: „Ich habe jetzt eine Stallpflicht, kein Tier darf ich mehr nach draußen lassen.“

Seit im Juni im hessischen Landkreis Groß-Gerau erstmals bei einem Wildschwein die Afrikanische Schweinepest nachgewiesen wurde, greifen in den angrenzenden Kommunen zahlreiche Schutzmaßnahmen. Im Juli wurde dennoch der erste Kadaver auf der linken Rheinseite entdeckt, inzwischen sind allein auf dem Gebiet des Kreises Mainz-Bingen 29 Tiere verendet. Strenge Regeln sollen die weitere Ausbreitung der Seuche verhindern, gegen die es weder eine Impfung noch Medikamente gibt. Ein kilometerlanger Elektrozaun soll verhindern, dass infizierte Tiere weiterwandern.

Mittlerweile spüren die Menschen in den Gemeinden am Rhein die Auswirkungen der Anti-Seuchen-Maßnahmen: So versperren beispielsweise Barrieren und Verbotsschilder den Zutritt zum Oppenheimer Wäldchen, einem wichtigen Naherholungsgebiet für die Menschen im baumarmen Rheinhessen. Lediglich eine einzige Zufahrt zum Rhein ist noch offen – zum Rheinrestaurant von Eugenius Steckler. „Natürlich haben wir nach Corona gehofft, dass es wieder aufwärtsgehen würde“, seufzt der Gastwirt. Stattdessen habe 2024 zuerst ein Frühjahrshochwasser den Wald überflutet, danach habe eine Stechmückenplage die Gäste verscheucht – und nun bringe ihn die Afrikanische Schweinepest in eine existenzbedrohende Lage.

Steckler darf sein Lokal weiter öffnen, aber die meisten Gäste wüssten davon nichts. Außerdem blieben die Radwanderer aus, die sonst am Rhein-Flussufer entlang unterwegs seien. Und größere Familienfeiern mit Live-Musik könne er unter den aktuellen Umständen auch nicht mehr anbieten. „Zwei Großveranstaltungen musste ich schon absagen“, berichtet er.

Damit Wildschweine nicht aufgeschreckt und verscheucht werden und der äußerst beständige Erreger nicht doch versehentlich in Hausschwein-Bestände gelangt, wie in Hessen bereits geschehen, gibt es jetzt eine strenge Leinenpflicht für Hundebesitzer. Beim Weinfest in Nackenheim fiel das Feuerwerk aus, Bauern in der Kernzone durften ihre Felder erst abernten, nachdem Drohnen über die Äcker geflogen waren und keinerlei Wildschweine entdeckt wurden. Der Aero-Club in Oppenheim sagte ein lange vorbereitetes Festival für junge Segelflieger aus ganz Deutschland ab.

Dass die Maßnahmen kurzfristig gelockert werden, ist nicht zu erwarten. „Ich habe die Hoffnung, dass es im nächsten Frühjahr ein normales Leben im Wäldchen geben wird“, dämpft die Oppenheimer Bürgermeisterin Silke Rautenberg (Alternative Liste) die Erwartungen. Zwar wurden auf dem Gebiet der Gemeinde schon seit längerer Zeit keine neuen Kadaver mehr aufgefunden, aber das für Menschen und andere Tiere harmlose Virus ist in der Natur äußerst langlebig. Es könnte etwa über einen Blutspritzer im Fell eines Fuchses oder Hundes noch nach Monaten weitere Schweine infizieren. Längst nicht alle Menschen in der Gegend hätten die Dringlichkeit des Problems verinnerlicht, bedauert Rautenberg: „Es gibt Leute, die räumen einfach die Absperrungen beiseite.“ Die Behörden im ebenfalls betroffenen Nachbarkreis Alzey-Worms berichteten von Vandalismus-Schäden am Schutzzaun.

Bis zum kommenden Frühjahr wird der Schweinezüchter Thomas Antony nicht warten können, ihm droht auch ohne Infektion im eigenen Tierbestand ein existenzielles Problem: „Ich habe keinen Metzger mehr, der meine Schweine schlachtet.“ Die Fleischerei im Nachbarort dürfe er nicht mehr ansteuern, da sie in einer anderen Gefahrenzone liege. Weiter entfernte Schlachthöfe hätten sich ganz geweigert, Tiere von ihm anzunehmen. Auf einen verzweifelten Hilferuf hin habe die Kreisverwaltung Mainz-Bingen ihm den völlig unrealistischen Ratschlag gegeben, er könne seine Tiere im 150 Kilometer entfernten Bitburg schlachten lassen. „Soll ich jetzt etwa mit zwei Schweinen nach Bitburg fahren und einen Tag später das Fleisch abholen?“, fragt sich der Landwirt. „Was soll ich denn dann für einen Kilopreis verlangen?“