Muttermilch von der Spenderbank – nicht aus dem Internet
Frauenmilchbanken gibt es seit 100 Jahren – auch wenn sie in Westdeutschland zwischenzeitlich abgeschafft wurden. Als letztes aller Bundesländer hat Rheinland-Pfalz eine Sammelstelle eingerichtet.
Es gibt Frauen, die haben sie im Überfluss. Andere dagegen verzweifeln beinahe und kämpfen nach der Geburt um jeden Tropfen Muttermilch für das Neugeborene – ein Problem, das bereits Mütter vor mehr als 100 Jahren kannten. Reichlicher Milchüberschuss während ihrer eigenen Stillzeiten brachte die Magdeburger Kinderärztin Marie-Elise Kayser damals auf die Idee, Muttermilch zu sammeln und zu konservieren. 1919 richtete sie im Krankenhaus in der Magdeburger Altstadt die erste Frauenmilch-Sammelstelle Deutschlands ein; andere Städte folgten.
Bis in die 1970er Jahre war die Entwicklung der Milchsammelstellen in beiden deutschen Staaten ähnlich. Erst als in der BRD künstliche Säuglingsnahrung auf den Markt kam, änderte sich das. Die Frauenmilchbanken im Westen wurden geschlossen. Anders in der DDR: “Dort gab es in jedem Ort, der mehr als 50.000 Einwohner hatte, bis zur Wende eine Milchsammelstelle”, sagt Eva Brinkschulte, emeritierte Professorin am Institut für Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin an der Universität Magdeburg.
Bundesweit gibt es insgesamt 50 Milchbanken
Derzeit haben solche Sammelstellen eine Renaissance. Bundesweit gibt es insgesamt 50 Milchbanken, in einigen Bundesländern mehrere. Rheinland-Pfalz ist nach Angaben der Initiative Frauenmilchbank das letzte aller Bundesländer, das jetzt diesen Service eingerichtet hat. Ab diesem Monat gibt es ihn an der Mainzer Uniklinik.
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“Besonders wichtig ist Muttermilch für die Gesundheit von sehr frühgeborenen Kindern“, sagt der Neonatologe David Szekessy. Er ist ärztlicher Leiter der Frauenmilchbank des Klinikums Westbrandenburg in Potsdam. Sie beuge etwa entzündlichen Darmerkrankungen vor, stärke das Immunsystem – und zwar “fulminant besser als künstlich hergestellte Milch”, so Szekessy, der Mitbegründer der Initiative Frauenmilchbanken ist. Meistens gehe es darum, eine Bedarfslücke zu schließen: Bis frisch gebackene Mütter Milch produzieren, dauere es einige Tage. Die Vormilch, das sogenannte Kolostrum, sei für sehr viel zu früh geborene Kinder nicht ausreichend.
Ansteigende Geburtenzahl von Mehrlingen sorgen für mehr Nachfrage
30 bis 50 Säuglinge mit einem Geburtsgewicht von unter 1.500 Gramm kommen pro Jahr etwa an dem Klinikum in Potsdam in den Genuss von Spendermilch. “Sie profitieren enorm davon”, sagt der Mediziner. Auch die ansteigende Geburtenzahl von Mehrlingen mache es oft nötig, eine Milchbank in Anspruch zu nehmen: Die Milch der eigenen Mutter reicht dann nicht für zwei Säuglinge. Sind genügend Ressourcen vorhanden, wird Spendermilch aus Potsdam auch an andere Kliniken mit entsprechendem Bedarf abgegeben.
Frauen, die an dem Potsdamer Krankenhaus Milch spenden wollen, müssen pro Woche zwischen 800 bis 1.000 Milliliter Milchüberschuss produzieren, damit sich Aufwand und Nutzen rechnen. Sie erhalten eine Aufwandsentschädigung von 20 Euro pro Liter. “Aber das Geld ist meistens nicht die Motivation der Frauen”, sagt Szekessy. “Sie spenden aus der Überzeugung, das Richtige zu tun.”
Experten: Keine Muttermilch aus dem Internet bestellen
Und die Frauen, die ihren Kindern dann die – kostenlose – Milch aus einer fremden Brust geben? “Am Anfang des Beratungsgesprächs sehe ich bei den betroffenen Müttern meist ein Stirnrunzeln”, gibt der Mediziner zu. Dies lege sich aber “in nahezu allen Fällen” in der Beratung. Meist sei es “einfach eine Kopfsache”. Dass Säuglinge, wenn sie – sobald die Bedarfslücke geschlossen ist – nach der fremden Milch die Brust der eigenen Mutter bekommen und diese dann nicht mehr annehmen, habe er “noch nie erlebt”, so der Experte.
Auch die Angst vor Infektionen wie HIV, die durch die Milch übertragen werden könnten, nehme er den Frauen: Spenderinnen würden ebenso wie die Milch genau untersucht, außerdem werde die Milch an der Potsdamer Frauenmilchbank stets pasteurisiert.
Sich Muttermilch im Internet zu bestellen – davor warnen Brinkschulte und Szekessy. Diese “werde oft gepanscht”; dadurch leide die Qualität. Außerdem sei nicht gewährleistet, dass die Milch frei von Keimen sei. Sie könne dann Krankheitserreger übertragen.