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Musiktherapie wirkt – doch das System lässt Betroffene oft fallen

Ein Rettungssanitäter erlebt das Unvorstellbare – und verliert den Boden unter den Füßen. Eine Musiktherapie hilft, muss jedoch abrupt beendet werden. Warum diese Problematik viele Menschen betrifft.

Er war Rettungssanitäter, liebte seine Frau – und Musik. Doch ein Einsatz ändert alles: Als er den Unfallort erreicht, ist unter den Todesopfern – seine Frau. Sirenen, hektische Menschen um ihn herum, er selbst fassungslos. Danach findet der Sanitäter keine Worte mehr. “Es geht mir schlecht”, das kann er sagen, doch weiter kommt er nicht, auch nicht in verschiedenen Therapien. Er leidet unter Flashbacks, kann Geräusche kaum ertragen. Ein Konzert? Undenkbar.

Mona Dittrich erzählt diese Geschichte eines Patienten. Sie ist Musiktherapeutin in der Akutpsychiatrie am SRH Klinikum Sigmaringen. “Wir konnten mit ihm eine Klangwelt kreieren, die sein Nervensystem nicht reizt, sondern beruhigt”, erklärt Dittrich. Langsam, Ton für Ton gewissermaßen, beginnt der Mann wieder zu sprechen, kann eine Brücke zu anderen Menschen schlagen – dank der Musiktherapie.

Schätzungsweise an jeder dritten deutschen Klinik sind Musiktherapeutinnen und -therapeuten beschäftigt, heißt es von der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG). Dittrich ist im Vorstand der Fachgesellschaft. Die kurzhaarige Frau spricht ruhig, mit sanfter Stimme, doch sie findet klare Worte: Als der Rettungssanitäter die Klinik verlässt, endet auch die Musiktherapie – denn sie gehört nicht zur Regelversorgung.

Die Expertin nennt ein weiteres Beispiel. “Stellen Sie sich vor: eine Familie, in der ein Kind von Autismus betroffen ist. Die Eltern müssen vielleicht Arbeitszeit reduzieren und für diese Diagnose kämpfen. Dann sagt man ihnen noch: ‘Es liegt in Ihrer Verantwortung, herauszufinden, ob Angebot XY seriös ist.’ Das kann man eigentlich niemandem zumuten.”

Doch bislang kann sich jeder “Musiktherapeut” nennen – nach einem Wochenendkurs ebenso wie nach jahrelanger Ausbildung, die auch psychotherapeutische Inhalte umfasst. Hilfesuchende müssen also recherchieren, welche Qualifikation hinter freien Angeboten steckt; Orientierung bieten Zertifikate etwa von der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien.

Die Fachleute schlagen nun Alarm: Sie fordern ein Berufsgesetz sowie eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, um entsprechende Leistungen erstattungsfähig anbieten zu können. Dieser politische Wandel steht auch auf dem Programm des Europäischen Musiktherapie-Kongresses, der am Mittwoch in Hamburg beginnt.

Die Wirksamkeit von seriöser Musiktherapie ist belegt. Studien haben sie zuletzt etwa bei Krebserkrankungen nachgewiesen, aber auch bei frühgeborenen Kindern und deren Bindung zu den Eltern, bei Demenzerkrankungen ebenso wie im Umgang mit Einsamkeit bei jungen Menschen. Darauf verweist die Professorin für Empirische Forschung in den Künstlerischen Therapien, Sabine Koch.

Auch auf dem Sterbebett sei auf diesem Weg wieder “Schönheitserleben” möglich. Konkret reduziere Musiktherapie etwa nachweislich das Schmerzempfinden – laut mancher Untersuchungen hat sie einen ähnlichen Effekt wie Opium, sagt Koch.

Praktisch arbeitet die Musiktherapie meist mit dem sogenannten Jazz Gap, das heißt: Der Therapeut greift eine Melodie auf, die die Patientin spontan beim Anblick eines Instruments angespielt hat – oder die Therapeutin singt ein bekanntes Lied an, das dann umgekehrt der Patient weiterführt. Es gehe viel um Improvisation mit einfach zu spielenden Instrumenten. Ziel ist, in einen Austausch zu kommen, etwa über Tempo oder Lautstärke der Musik, erklärt Lutz Neugebauer, Vorstandsvorsitzender der Musiktherapeutischen Gesellschaft.

Für die Menschen, denen entsprechende Angebote helfen könnten, fordern die Fachleute vor allem Sicherheit. Musiktherapie habe nichts mit mehrstündigen Videos zu tun, die schnelles Einschlafen versprächen, mahnt Neugebauer. Und Dittrich zieht einen einleuchtenden Vergleich: “Wenn Sie Zahnschmerzen haben, wollen Sie nicht recherchieren, ob die Praxen im Umfeld für die Behandlung qualifiziert sind – oder ob die Ihre Schmerzen vielleicht verschlimmern. Genau das aber wird Menschen in anstrengenden Lebenssituationen zusätzlich aufgebürdet, wenn es um Musiktherapie geht.”