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Musiktherapie hilft so gut wie Opium – Fachleute fordern klare Regeln

Schmerz, Einsamkeit oder Angst: Musiktherapie kann bei vielen gesundheitlichen Beschwerden helfen. Bislang fehlen jedoch Standards für ihren Einsatz in der Praxis. Ein internationaler Kongress pocht nun auf Änderungen.

Musiktherapie ist mehr als nur eine Wohltat: Das betonen Fachleute. “In der öffentlichen Wahrnehmung ist das ein weiter Begriff”, sagte der Musiktherapeut Lutz Neugebauer am Dienstag vor Journalisten. Dies sei jedoch eine falsche Vorstellung – Musiktherapie habe nichts mit mehrstündigen Videos zu tun, die schnelles Einschlafen versprächen. Vielmehr handle es sich um einen eigenständigen Beruf, dessen therapeutische Wirksamkeit wissenschaftlich belegt sei, betonte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG).

Am 23. Juli beginnt in Hamburg der Europäische Musiktherapie-Kongress, zu dem fast 1.000 Teilnehmende erwartet werden. Studien haben zuletzt die Wirkung von Musiktherapie etwa bei Krebserkrankungen nachgewiesen, aber auch bei frühgeborenen Kindern und deren Bindung zu den Eltern, bei Demenzerkrankungen ebenso wie im Umgang mit Einsamkeit bei jungen Menschen: Darauf verwies die Professorin für Empirische Forschung in den Künstlerischen Therapien, Sabine Koch.

Auch auf dem Sterbebett sei auf diesem Weg wieder “Schönheitserleben” möglich. Konkret reduziere Musiktherapie etwa nachweislich das Schmerzempfinden – laut mancher Untersuchungen hat sie einen ähnlichen Effekt wie Opium, sagte Koch.

Derzeit ist die Berufsbezeichnung “Musiktherapeut” nach Worten von Beatrix Evers-Grewe nicht geschützt, kritisierte die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Künstlerische Therapien. Sinnvoll wäre indes mindestens der Abschluss eines entsprechenden Bachelor-Studiengangs. Betroffenen könne man bislang nur raten, auf entsprechende Zertifizierungen zu achten. Neugebauer fügte hinzu, es brauche mehr gezielte und seriöse Angebote, zum Beispiel Chöre für Menschen mit Demenz, die nicht unbedingt für Auftritte vor Publikum probten.

Konkret arbeitet die Musiktherapie häufig mit dem sogenannten Jazz Gap, das heißt: Der Therapeut greift eine Melodie auf, die die Patientin spontan beim Anblick eines Instruments angespielt hat – oder die Therapeutin singt ein bekanntes Lied an, das dann umgekehrt der Patient weiterführt. Es gehe viel um Improvisation mit einfach zu spielenden Instrumenten. Ziel ist, in einen Austausch zu kommen, etwa über Tempo oder Lautstärke der Musik, erklärte Neugebauer.