Musikalische Genregrenzen sind Sir Karl Jenkins auch mit 80 egal

Die Friedensmesse „The Armed Man“ von Karl Jenkins wird im Schnitt zweimal pro Woche irgendwo auf der Welt aufgeführt. Auch sein neues Werk verspricht Rekorde. Nun wird der Meister des musikalischen Cross Over 80 Jahre.

Kürzlich gab es mal wieder Zoff um das populärste Werk von Sir Karl Jenkins: die Friedensmesse „The Armed Man“. Diesmal stritt man im Schweizer Kanton Freiburg um die Frage, ob der darin enthaltene muslimische Gebetsruf „Allahu Akhbar“ (Gott ist groß) in einer Kirche ertönen darf; er darf nicht, entschieden die Verantwortlichen. „In einer Zeit stärkerer Polarisierung“ müsse man Störungen vermeiden. Dabei will Jenkins mit der Messe gerade betonen, dass die Religionen trotz aller Unterschiede gemeinsam für Frieden eintreten. Das ist auch das Credo des jüngsten Werks „One World“ von Sir Karl, der am 17. Februar 80 Jahre alt wird.

Die Mischung aus Elementen der lateinischen Messe und aus anderen Religionen, fetzigen Rhythmen und Weltmusik kommt an: Seit April 2000 wurde „The Armed Man“ etwa 3.000 Mal aufgeführt, seit über 18 Jahren ist es in den britischen Albumcharts. Damit zählt Sir Karl, der auch durch Kompositionen für Werbung und Film, aus Weltmusik, Pop und Jazz bekannt wurde, zu den meistaufgeführten lebenden Komponisten.

„Seit ich das Stück den Opfern im Kosovo gewidmet habe, haben Krieg und Konflikte leider nicht nachgelassen“, sagt der Künstler über „The Armed Man“. „Aber wir werden weiterhin mit Musik der Opfer gedenken und darauf hoffen, dass die Menschheit einen Weg zur Heilung finden kann.“

In diesem Sinne schuf der Meister des musikalischen Cross Over die Suite „One World“ für Sologesang, Chor und Orchester, bestückt mit Texten aus verschiedenen Religionen und Kulturen. Am besten sei der Geist des Werks im hebräischen Stück „Tikkun Olam“ („die Welt heilen“) erfasst, so Jenkins. Bei der Uraufführung Ende 2023 in Linz (Österreich) standen 350 Musiker auf der Bühne, zugeschaltet waren weitere 270 Mitglieder des internationalen „Stay at Home“-Chors, den Jenkins während der Pandemie zusammengestellt hatte.

Viel kleiner macht es der Mann mit den schlohweißen Haaren und dem markanten Schnäuzer auch nicht. Als erster walisischer Komponist wurde er 2014 von der Queen geadelt. Für die Krönung von König Charles III. im Mai 2023 durfte er ein Musikstück schreiben: „Tros y Garreg“, ein Arrangement eines walisischen Volksliedes.

Auch seine Jubiläumstour begann mit einem internationalen Chorprojekt mit mehreren hundert Mitwirkenden in der New Yorker Carnegie Hall. Und so geht es weiter bei seiner Tournee, bei der Jenkins auch Ohrwürmer aus seinen Werbekompositionen dirigiert.

So viel Genre-Vielfalt lässt manche Kritiker die Nase rümpfen. Andere sehen genau diese Offenheit als Stärke. Für all das heimst Jenkins zahllose Gold- und Platinschallplatten ein, Professuren und Ehrendoktorwürden an Hochschulen sowie internationale Preise bis zum Golden Globe. Er selbst nennt sich einen „musikalischen Wanderer“.

Im Gepäck hat er dafür eine klassische Musikausbildung, die früh beginnt: Sein Vater, selbst Lehrer, Chorleiter und Organist, gibt ihm Klavierunterricht. Karl studiert an der Royal Academy of Music in London, wird Erster Oboist im National Orchestra of Wales, befasst sich aber auch mit Jazz und anderen Richtungen der „U-Musik“. 1975 heiratet er die walisische Musikerin Carol Barratt, die Texte für viele seiner Werke schreibt. Der Keyboarder, Oboist und Saxofonist spielt in den Bands „Nucleus“ und „Soft Machine“ und gründet in den 90ern das Musikprojekt „Adiemus“.

„Adiemus“ heißt auch die sphärische Hymne, mit der eine Fluggesellschaft wirbt – und die die Charts stürmt. Ähnlich erfolgreich ist das Streicherstück „Palladio“ aus einer Diamantenwerbung. „One World“ nutzt Jenkins wiederum für seine politische Vision: ein Planet, „wo die Wahrheit die Wahrheit ist und News niemals ‚fake‘ sind, wo politische Führer nicht lügen und alle Religionen in Frieden zusammenleben“, erläutert der Künstler.

Auch seine Friedensmesse endet mit optimistisch stimmenden Rhythmen. Dennoch stellt sich bei der Aufführung in Kirchen die Frage: Ist die Anrufung Allahs unter dem Kreuz zulässig? „Nein“, sagten etwa die Verantwortlichen am Berliner evangelischen Dom 2007 und verlegten die Aufführung in ein Konzerthaus. Im gleichen Jahr untersagte auch der Primas der anglikanischen Kathedrale von Nelson in Neuseeland das Musikstück.

Eine ähnliche Debatte entflammte laut dem Portal kath.ch nach einer Aufführung im Herbst 2023 in der Pariser Kirche Sainte-Trinite. Auch in der katholischen Kirche im Schweizer Kanton Freiburg entschied man sich nun gegen das „Alluha Akhbar“, weil man aggressive Nachrichten erhalten habe. – Offenbar besteht noch viel Bedarf an Friedensmanifesten wie der Musik von Karl Jenkins.