Musik für die Seele

Seine Gemeinde kann der Wyker Pastor Frank Menke nicht zum Gottesdienst einladen. Dafür spielt er jeden Sonntag Bläsermusik vom Kirchturm – Balsam für eine Urlaubsinsel ohne Touristen.

Pastor Frank Menke
Pastor Frank MenkePrivat

Wyk/Preetz. Die Glocken läuten noch – auch wenn kein Gottesdienst stattfindet, zu dem sie einladen. Von der St.-Nicolai-Kirche in Wyk auf der nordfriesischen Insel Föhr erklingt am Sonntagmorgen weiterhin das Geläut über die Insel. Man wolle ein Zeichen senden, dass die Menschen nicht allein seien, sagt Frank Menke, Pastor der Gemeinde.

Wyk kann es brauchen. Die Urlauber mussten abreisen, Restaurants und Hotels sind geschlossen, die Einkaufsstraßen leer. Die sonst so belebte Insel sieht verwaist aus. Menke spricht von einer „starken Isolation“. Für die Bewohner, die vom Tourismus leben, bedeutet das auch existenzielle Ängste, berichtet er. Die St.-Nicolai-Kirche ist zwar weiterhin geöffnet ­– Besucher können hineingehen und für sich Andacht halten – aber Gottesdienste und andere Zusammenkünfte sind wie überall in Deutschland ausgesetzt. Gemeinsam Ostern und Konfirmation feiern – alles nicht möglich.

So kam Menke die Idee, die Menschen auf andere Weise zu erreichen. Am Sonntag, 22. März, erklangen nach dem Glocken­geläut zum ersten Mal Choräle vom Kirchturm. Die zwei Bläser Maike und Martin Petereit waren mit Küster Hartmut Petersen und Pastor Menke auf den Turm gestiegen, hatten dort ihre Noten aufgebaut und „Lobe den Herrn“ geblasen. Auch das soll ein Zeichen sein, dass die Menschen, die nun sehr auf sich geworfen sind, nicht allein gelassen werden. Einen „hoffnungsvollen und tröstlichen Zuspruch“ hat er es genannt.

Abenteuer Aufstieg

Um Musiker für seine Idee zu finden, hat Menke überall herumgefragt. So würden an den nächsten Sonntagen nicht nur Mitglieder des Posaunenchors, sondern zum Beispiel auch ein Musiklehrer die Aufgabe übernehmen und sich auf den Turm wagen.

Allein schon der Aufstieg sei ein Abenteuer, berichtet der Pastor. Mit einer Taschenlampe müssen sich die Musiker den Weg durch den dunklen Turm bahnen. An der schmalen Treppe gibt nur ein Seil Halt, Notenständer und Instrumente müssen auf diese Weise rund 40 Meter in die Höhe getragen werden. Oben angekommen entschädige aber die Aussicht. Vom Turm aus kann man fast bis zum Meer blicken, so Menke.

Die Musik schallt von hier aus einige hundert Meter weit über die umliegenden Häuser von Wyks Ortsteil Boldixum. Wenn „Lobe den Herrn“ oder ein anderes Kirchenlied erklingt, sei das etwas „für die Ohren und die Seele“, hofft Menke. Nach dem ersten Turmblasen hätten die vier Musikanten auf dem Turm noch das Vaterunser und um Segen gebeten. „Das hatte auch für uns vier etwas“, so der Pastor.

Wie viele andere Pastoren und Gemeinden in dieser Zeit hat auch er schon ein Andachtsvideo ins Internet gestellt. Innerhalb von drei Tagen wurde es bereits mehr als 700 Mal aufgerufen. Allerdings nicht unbedingt von denen, die sonst am Sonntag in den Bänken von St. Nicolai säßen. Mit der Kirchturmmusik ist das anders: „Damit erreiche ich direkt meine Gemeinde“, sagt Menke.

In Preetz kam die Polizei

Bis zum 19. April soll das Turmblasen in Wyk auf jeden Fall weitergehen. So lange werde das normale Gemeindeleben noch ruhen. Die genaue Musikauswahl überlässt Menke den Musikern. Es werden voraussichtlich bekannte Kirchenlieder und Choräle sein. Vielleicht spricht es sich herum und die Menschen öffnen ihre Fenster und horchen, ob sie die Musik herüberklingen hören, hofft Menke.

Musik ist derzeit ein beliebtes Mittel der Kirchen, nicht nur auf Föhr. Pastor Christoph Pfeifer aus Preetz hatte eine ähnliche Idee. Er nahm selbst die Trompete und spielt am Sonnabend, 21. März, vom Turm der Stadtkirche „Ein feste Burg ist unser Gott“. Das Turmblasen in Preetz findet seitdem täglich statt – und nach und nach kamen immer mehr, hörten zu, fragten nach Liederzetteln und sagen mit.

Zwar hätten die Menschen auf dem Kirchenvorplatz in sicherem Abstand voneinander gestanden, aber nach drei Tagen rückte die Polizei an. Mehr als zwei Personen seien auch auf dem großen Platz nicht erlaubt. „Für uns als Seelsorger ist das ein Härtetest“, so Pfeifer. „Wo man Menschen gern sammeln würde, da müssen wir sie wegschicken.“ Nun sollen die Menschen von der Stadt aus zuhören. „Mit der Trompete vom Turm haben wir ein Medium gefunden, dass nahegeht trotz der Distanz“, sagt er.

Info
Das Turmblasen findet jeden Sonntag um kurz nach zehn vom Turm der St.-Nicolai-Kirche, Kirchweg, in Wyk auf Föhr statt. Das Turmblasen in Preetz von der Stadtkirche, Kirchplatz 8, jeden Abend um 18 Uhr.