Neuseeland – für viele Menschen ist der Inselstaat im Pazifik ein Sehnsuchtsort. Mehr über dessen indigene Bevölkerung, deren Bräuche, Spiritualität und Kunst erzählt jetzt eine Münchner Schau.
“He Toi Ora” – in der Sprache der Maori bedeuten diese Worte übersetzt “lebendige Kunst”. Genau darum geht es in der neuen Ausstellung im Museum Fünf Kontinente in München. Bis 10. Mai sind dort 80 Objekte und damit ein Großteil der im Haus bewahrten Werke der indigenen Bevölkerung Neuseelands zu sehen. Neben Figuren mit Tätowierungen werden Schmuckkästchen für ranghohe Personen, Preziosen aus Grünstein, kostbare Umhänge, figürlich gestaltete Waffen und Alltagsgegenstände in effektvoll mit Licht inszenierten Räumen präsentiert.
Im Weltbild der Maori tragen alle Künste eine immerwährende Beziehung zwischen Vergangenheit und Gegenwart in sich. Auch Schnitzwerke gelten als beseelt und stehen in Verbindung mit den Ahnen. Das zentrale Anliegen dieser Schau ist es daher, die Kunstwerke in Beziehung zu setzen zu den Nachkommen der ursprünglichen Hersteller oder Besitzer. Nur so kann diese sich immer wieder erneuern.
“Wo Exzellenz in den Künsten ist, da ist auch menschliche Würde”, heißt es bei den Maori. Mit den Künsten und den dafür verwendeten Materialien assoziieren sie Götter, die über die künstlerische Arbeit wachen. Das Schnitzen etwa war ein geheiligter Vorgang. Wer diese Fertigkeit beherrschte, besaß die besondere Gabe, Bilder der Vorfahren heraufzubeschwören und die Geschichten und Heldentaten eines Urahns zu verewigen. Jeder Stamm hat seine eigene Tradition, die in den Künsten zum Ausdruck kommt. Diese wurden zudem beeinflusst davon, wo die Menschen lebten, in einer Küstenregion, im Landesinneren oder in der Nähe von Bergen.
In der Weltanschauung der Maori steht die Holzschnitzkunst nicht isoliert da, sie ist vielmehr eng verbunden mit Fertigkeiten wie dem Flechten, Tanz oder dem Schnitzen aus Walknochen und Grünstein. Alle diese Ausdrucksformen haben für sie einen spirituellen Aspekt. Das gilt für Keulen als Nahkampfwaffen genauso wie für die Heckverzierungen eines Kriegsboots, für Speerschleudern wie für geschnitzte Versammlungshäuser. Letztere wurden sogar mit dem Körper des Vorfahren gleichgesetzt. Denn wie dieser bietet ein solches Haus den Nachfahren Schutz und Geborgenheit.
Wertvoller Besitz ranghoher Adliger waren Anhänger aus Grünstein in Form von menschlichen Gestalten. Oft sollten sie eine spezielle familiäre oder Stammeszugehörigkeit ausdrücken, waren gleichzeitig aber auch Schutzsymbole. Haar und Kopf gelten bei den Maori als tabu oder heilig. Männer stecken sich als Schmuck Federn in ihren Haarknoten, Frauen Kämme oder Preziosen aus Grünstein. Aufbewahrt wird solcher Schmuck in Deckelkästen, die gewöhnlich die Form eines Bootes haben und in stilisierten Köpfen enden. Da diese Schmuckkästen früher aufgehängt waren, haben viele von ihnen eine besonders schön gestaltete Unterseite.
Auch in der Tätowierung kommt der Stolz der Maori auf die Vorfahren zum Ausdruck. Die kurvigen Linienmuster sind den Formen der Natur nachempfunden. Für Indigene war diese Kunst einst Teil ihres täglichen Lebens, bis sie infolge der Kolonisierung nahezu in Vergessenheit geriet. Heute ist sie wieder sehr lebendig und voller Stolz präsentieren viele Maori ihr Tattoo: Bei den Männern bedeckt es das ganze Gesicht, bei den Frauen nur das Kinn. Beispiele dafür sind zu sehen auf lebensgroßen Fotos von verschiedenen Stammeszugehörigen.
Bemerkenswert an dieser Ausstellung ist zudem, dass sich das Museum nicht davor drückt, kritische Fragen zu stellen: Wie gelangten die Exponate von Neuseeland nach Europa? Wurden sie geraubt oder den Eigentümern abgepresst? Kamen sie durch Kauf oder Tausch in andere Hände? Waren es Geschenke oder Gegengaben? Beispielhaft sei ein geschnitzter Pfosten vom Stamm der Rongowhakaata genannt. Bevor dieser 1895 unrechtmäßig aus einem Versammlungshaus entfernt wurde, stützte er es als einer von zwei zentralen Pfosten im Inneren. 1902 gehörte er zu einem Hamburger Sammlungsbestand, aus dem er 1965 an das Münchner Museum veräußert wurde.
Beim Großteil der Objekte stößt man jedoch an eine Grenze: Die Suche endet meist in London, wo fast alle zu sehenden Exponate zwischen 1825 und 1914 erworben wurden. Damals besaß die Stadt den weltweit größten Hafen – in der Blütezeit des britischen Kolonialreichs, zu dem seit 1840 auch Neuseeland gehörte. Menschen, Tiere, Pflanzen, Rohstoffe und Objekte aus anderen Kulturen wurden in großer Zahl nach Großbritannien gebracht. Die Spur nach Neuseeland verliert sich dann. Nur Indizien können hier noch weiterhelfen – wie etwa die Archivalien des Museums oder die Bestimmung der Holzarten.