München, die NS-Vergangenheit und Terror nach 1945
Der Anschlag auf das israelische Konsulat in München weckt Ängste. Er reiht sich ein in andere Terrortaten gegen jüdische Einrichtungen und rechtsextremistische Attacken. Und er berührt historisches Terrain.
Als am 5. September die Eil-Meldung “Großer Polizeieinsatz vor NS-Dokumentationszentrum in München” kam und bald auch Videos mit Schüssen im Internet die Runde machten, hielt Bayerns Landeshauptstadt den Atem an.
Aufforderungen der Polizei, die Gegend zu meiden, und stundenlang über der Innenstadt kreisende Hubschrauber weckten böse Erinnerungen an das Attentat auf das Olympia-Einkaufszentrum vor acht Jahren. Ein 18-Jähriger hatte dort damals neun Menschen erschossen. Erst Stunden später folgte die Entwarnung: Weitere Täter und Tatorte gibt es nicht.
Und nun das: Ausgerechnet am 52. Jahrestag des palästinensischen Terrorangriffs auf die israelische Olympiamannschaft 1972 fährt ein 18-jähriger Österreicher nach München und schießt dort mit einem Gewehr um sich, bis er von Polizisten zur Strecke gebracht wird. Seine ersten Schüsse gelten dem NS-Dokumentationszentrum, weitere dem israelischen Generalkonsulat daneben, in das er erfolglos einzudringen versucht hat.
Über die Motive des jungen Mannes wissen die Ermittler noch nicht viel. Eine islamistische oder antisemitische Gesinnung wird als “Arbeitsthese” verfolgt, sagt die Generalstaatsanwaltschaft. Was bedeutet: Es gibt Hinweise, aber noch keine handfesten Belege wie ein Bekennerschreiben. Aus Österreich heißt es, die aus Bosnien im Zuge des Jugoslawienkriegs eingewanderte Familie sei voll integriert gewesen. Der Sohn sei auf der Schule gut, dort aber gehänselt worden.
Wie unklar die Gefahrenlage zu Beginn seiner Attacke am Donnerstagmorgen ist, verdeutlicht die Absage einer Gedenkveranstaltung im über 20 Kilometer entfernten Fürstenfeldbruck. Dort war die Befreiung der als Geiseln genommenen israelischen Sportler 1972 kläglich gescheitert. Im Kugelhagel mit den palästinensischen Terroristen starben sie alle, dazu ein deutscher Polizist. Der Gedenktag ist der Grund, warum das Generalkonsulat geschlossen hatte.
Jüdische Einrichtungen in München waren schon häufiger Ziel von Anschlägen. Heute sind sie in der Regel stark bewacht. Um die Ohel-Jakob-Synagoge und das Gemeindezentrum am Sankt-Jakobsplatz sind rund um die Uhr Polizeibeamte zu sehen; Fahrzeuge können nur vorfahren, wenn die aufgestellten Poller zuvor in der Erde versenkt werden.
Es war der Wachsamkeit der Sicherheitskräfte zu verdanken, dass dort 2003 bei der Grundsteinlegung keine Bombe hochging. Bei Ermittlungen wegen einer Schlägerei geriet eine Gruppe Rechtsextremisten ins Visier der Polizei. Sie besaßen 1,7 Kilogramm TNT-Sprengstoff, woran die “Süddeutsche Zeitung” dieser Tage erinnerte. Und auch am Donnerstag sind als erstes die Objektschützer des Generalkonsulats zur Stelle.
Die SZ-Journalisten Roman Deininger und Uwe Ritzer verweisen in ihrem Artikel auf weitere so gut wie vergessene antisemitische Anschläge in München. Drei radikale Palästinenser wollten im Februar 1970 auf dem Flughafen Riem einen Jet der israelischen El-Al kapern. Im Zubringerbus warf sich ein israelischer Passagier auf eine bereits gezündete Handgranate. Er starb, rettete aber elf anderen das Leben. Im selben Jahr fielen einem Brandanschlag auf das jüdische Altenheim an der Reichenbachstraße sieben Menschen zum Opfer. Alle hatten laut Deininger und Ritzer den Holocaust überlebt.
Im NS-Dokuzentrum ging erst vor wenigen Wochen eine Sonderausstellung über Rechtsterrorismus in Deutschland nach 1945 zu Ende. Sie beleuchtete 25 Fälle, darunter auch das Oktoberfestattentat von 1980. Die nächste Wiesn beginnt in zwei Wochen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) beeilte sich am Freitag mit der Versicherung, das größte Volksfest der Welt sei nicht in Gefahr.
NS-Dokuzentrum und israelisches Konsulat befinden sich in einem historisch mit Bedeutung aufgeladenen Stadtviertel mit vielen Villen und Gärten. In der sogenannten Maxvorstadt verwirklichte Bayernkönig Ludwig I. seinen Traum vom “Isar-Athen”: Auf dem Königsplatz ließ er die Propyläen und in Form von griechischen Tempeln die Glyptothek und die heutige Staatliche Antikensammlung errichten. Alte und Neue Pinakothek folgten in unmittelbarer Nachbarschaft.
Auch die Nazis wussten um diese gehobene Wohn- und Kulturgegend. So griffen sie 1930 zu, als das klassizistische Palais Barlow an der Briennerstraße zum Verkauf stand. Nach Plänen des Architekten Paul Ludwig Troost wurde es zur repräsentativen NSDAP-Parteizentrale umgebaut. Das “Braune Haus” bekam von der demokratischen Presse viel Spott ab. Auf den Grundmauern des “Palais Größenwahn” steht seit 2015 das NS-Dokuzentrum.
Von der Nazi-Architektur noch übrig geblieben ist der 1937 errichtete “Führerbau” an der Arcisstraße, wo der junge Österreicher am Donnerstag sein Auto abstellte. Das Gebäude beheimatet heute die Hochschule für Musik und Theater.
Seit 2011 befindet sich das israelische Generalkonsulat genau hinter dem NS-Dokuzentrum. Generalkonsulin Talya Lador-Fresher ist sich der Symbolik “mehr als bewusst”, wie sie jüngst in einem Zeitungsinterview bekannte. “Wenn ich manchmal vom Konsulatsgebäude aus zur Rückseite des ehemaligen ‘Braunen Hauses’ schaue, diesem damals braunen Fleck von München, habe ich natürlich gemischte Gefühle. Aber ich bin wirklich stolz auf unsere Fahne, die hier weht.”