Mit Weißrussland kommen häufig drei Klischees zur Sprache: Weißrussland, das ist doch ein rückständiges, postsozialistisches Land. Weite Teile des Ostens sind durch die Tschernobyl-Reaktorkatastrophe atomar verseucht. Und die Bevölkerung hängt einem konservativ geprägten, orthodoxen Glauben an. Alle drei Klischees stimmen so nicht.
Minsk ist eine moderne, mitteleuropäische Metropole mit einem gewaltigen Bauboom und vielen, jungen, westlich orientierten Menschen. Orthodoxe und protestantische Christen verbindet der Glaube an Jesus Christus und den dreieinigen Gott. Weit auseinandergelebt haben sie sich allerdings vor allem in der Beurteilung ethischer Fragen. Dennoch ist ein ehrliches und offenes Gespräch über Glaubens- und Kulturunterschiede möglich.
Für viele Teilnehmende eines Pastoralkollegs war der Besuch der sonntäglichen Liturgie ein besonderer Moment der Begegnung mit der weißrussischen, orthodoxen Kirche. Studierende des pädagogischen Institutes St. Methodius und St. Kyrill sangen die Göttliche Liturgie im Wechsel mit dem Pfarrer der Gemeinde. Ältere Menschen und zahlreiche junge Familien nahmen an dem zweistündigen Gottesdienst teil. Zu Beginn der Liturgie gingen einige Erwachsene und Jugendliche zur Beichte, um auf den Empfang der Kommunion vorbereitet zu sein. Sie wird als erste an die Kinder ausgeteilt.
Den Auftakt dieses ersten Begegnungskollegs der rheinischen und westfälischen Kirche mit Pfarrern, Professoren und Studierenden aus der Orthodoxen Kirche in Weißrussland bildete ein Tagesseminar in der Theologischen Akademie in Minsk. „Orthodoxie und Protestantismus im Dialog“ lautete das Thema.
Professor Sergei Alexejewitsch Gordun erinnerte an die Anfänge der Orthodoxen Kirche durch die Taufe des russischen Fürsten Wladimir im Jahr 988 in Kiew. Wenig später entstanden erste Bischofssitze in Weißrussland. Im Zuge der politischen Entwicklungen geriet der Westen Weißrusslands immer wieder in den Einflussbereich der katholischen Kirche, während der Osten des Landes orthodox blieb.
Bis 1980 litt die orthodoxe Kirche unter den Repressalien in der (damaligen) Sowjetunion. Seither hat sich das Verhältnis von Kirche und Staat verbessert. Viele Kirchen und Klöster konnten neu gebaut oder wieder eröffnet werden.
Die heute enge Verbindung von Staat und Kirche findet ihren sichtbaren Ausdruck im Neubau der „Kirche zu Ehren aller Heiligen“. Sie ist die größte orthodoxe Kirche in Weißrussland, bietet etwa 1200 Gläubigen Platz und wurde als nationale Erinnerungsstätte gebaut. Westlichen Besuchern ist nationale Heldenverehrung fremd. Sie muss aber auch als Ausdruck des wiederholten Leidens unter politischer Fremdherrschaft verstanden werden.
Ein Seminaraspekt war die Bedeutung der Ökumene für die Neuausrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland nach 1945, nach dem schuldhaften Versagen des deutschen Protestantismus während des Nazi-Terrors. Nur wenige evangelische Pfarrer und Theologen stellten sich damals gegen das Hitlerregime. So hat das Bemühen um Versöhnung mit Polen und den Völkern der Sowjetunion die inhaltliche Arbeit der evangelischen Kirche in Deutschland nach 1945 bestimmt und die Beziehungen auch nach Weißrussland begründet.
Fragen der eigenen Spiritualität prägten die Gespräche mit den orthodoxen Theologiestudierenden. So wurde der Besuch eines orthodoxen Gottesdienstes in der Kindheit als prägendes Ereignis beschrieben, das das Interesse an Religion und Kirche geweckt hatte. Für andere hängt die religiöse Frage mit der nationalen Identität Weißrusslands zusammen. Dabei spielt der Protestantismus in Belarus kaum eine Rolle. Umso größer war das Interesse der Studierenden, sich mit den Themen Reformation, Abendmahl und Frauenordination zu befassen.
Auch in der weißrussischen orthodoxen Kirche sind Klöster wichtige Pilgerorte für die Gläubigen. Vor 25 Jahren wurde das St. Elisabeth-Kloster unweit von Minsk gegründet. Die Schwestern widmen sich der Begleitung von psychisch kranken Menschen und Drogenabhängigen. Berühmt ist der St. Elisabeth Chor, der von Schwester Juliania Denisova geleitet wird.
Der gemeinsame Weg zur Gedenkstätte Malyj Trostenez am ehemaligen Minsker KZ bildete den Abschluss dieser ökumenischen Begegnung. Vor dem Mahnmal des ehemaligen Konzentrationslagers am Stadtrand von Minsk und an den Erschießungsstätten im Wald von Blagowtschina wurden an den hier verübten Massenmord an jüdischen Familien aus Österreich, Tschechien und Deutschland erinnert. Schweigend und miteinander im Gebet. Gemeinsam wurden auch Blumen niedergelegt.
Christian Hohmann ist Regionalpfarrer des Amtes für MÖWe in Ostwestfalen. Thomas Krieger ist Europareferent im Amt für MÖWe in Dortmund. Gemeinsam haben sie das Pastoralkolleg „Protestantismus und Orthodoxie im Dialog“ in Minsk geleitet.
