„Moderne Mystikerin“: Vor 20 Jahren starb Theologin Dorothee Sölle

Die feministische Theologin Dorothee Sölle hat schon sehr früh Themen wie Frieden, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz miteinander vernetzt. In diesen Tagen jährt sich ihr zwanzigster Todestag.

Bibelarbeit mit Dorothee Sölle beim evangelischen Kirchentag der Mecklenburgischen und Greifswalder Landeskirche 1988 in Rostock (Archivbild)
Bibelarbeit mit Dorothee Sölle beim evangelischen Kirchentag der Mecklenburgischen und Greifswalder Landeskirche 1988 in Rostock (Archivbild)Imago / epd

Dorothee Sölle (1929-2003) gehört zu den einflussreichsten Theologinnen des Protestantismus. Eines ihrer zentralen Lebensthemen war „Gottes Vorliebe für die Armen“. Damit wurde sie zu einer der führenden europäischen Befreiungstheologinnen, in Anlehnung an die vor allem in Lateinamerika entstandene Idee einer Kirche der Armen, die sich für die Befreiung der Unterdrückten einsetzt. Vor 20 Jahren, am 27. April 2003, starb die „moderne Mystikerin“.

Dorothee Sölle wird am 30. September 1929 in Köln als das vierte von fünf Kindern des Ehepaares Hildegard und Hans Carl Nipperdey geboren. Das akademisch-großbürgerliche Elternhaus, ihr Vater ist Juraprofessor und erster Präsident des Bundesarbeitsgerichts, fördert die geistigen Begabungen der jungen Dorothee. Ab 1949 studiert sie Philosophie und klassische Philologie, 1951 wechselt sie zur Theologie und belegt auch das Fach Germanistik. 1954 promoviert sie im Fach Literaturwissenschaften und macht ihr Staatsexamen in Theologie.

Sölle kümmerte sich um die Kluft zwischen Reich und Arm

Ihre erste Ehe mit dem Maler Dietrich Sölle, in der drei Kinder geboren werden, dauert nur zehn Jahre. Bis Ende der 60er Jahre arbeitet sie als Gymnasiallehrerin, freie Journalistin, Universitätsassistentin, Studienrätin. 1965 erscheint ihr Buch „Stellvertretung“. Besonders ihr Nachdenken über eine „Theologie nach dem Tode Gottes“ war umstritten. Seit den 60er Jahren engagiert sie sich vor allem auf evangelischen Kirchentagen für die Politischen Nachtgebete rund um die Themen Frieden, Frauen, Ökologie sowie die Kluft zwischen Reich und Arm.

Vor zehn Jahren, am 27. April 2003, starb die evangelische Theologin und moderne Mystikerin Dorothee Sölle
Vor zehn Jahren, am 27. April 2003, starb die evangelische Theologin und moderne Mystikerin Dorothee SölleImago / epd

Zeitlebens hatte sie eine Abneigung gegen die – vor allem von Männern geprägte – Kreuzestheologie. Sölle und andere feministische Theologinnen sehen im Kruzifix ein Symbol für männliche Brutalität und Todesverherrlichung. „Gott wird in die Schuhe geschoben, auf Blut zu stehen“, erklärte Sölle. Es ist aber nicht Gott, der dafür sorgt, dass gefoltert wird, wie Sölle betont. Das Kreuz symbolisiere vielmehr das Leiden der Schwachen und Ärmsten.

Kritischer Geist mit protestantischer Frömmigkeit

Bei einem heftig umstrittenen ökumenischen Abendmahl am Rande des 94. Deutschen Katholikentags im Jahr 2000 in Hamburg erklärte sie in ihrer Predigt, die Kirchentrennungen des 16. Jahrhunderts dürften heute nicht mehr gelten. 1969 heiratet sie Fulbert Steffensky, aus dieser Beziehung geht eine Tochter hervor. Steffensky lebte 13 Jahre als Benediktinermönch im Kloster Maria Laach, bevor er zum Protestantismus konvertierte. Er gehört heute zu den profiliertesten religiösen Autoren im deutschsprachigen Raum.

Dorothee Sölle war ihrer eigenen Kirche gegenüber stets überaus kritisch, lebte aber – so berichten Zeitzeugen – eine sehr innerliche protestantische Frömmigkeit. Ein ordentlicher Lehrstuhl wurde der weltbekannten, hochbegabten und habilitierten Frau zeitlebens verweigert. Sie erhielt lediglich einen Lehrauftrag in Mainz und eine Gastprofessur in Kassel, 1994 dann eine Ehrenprofessur an der Universität Hamburg. Ansonsten lehrte sie Systematische Theologie in den USA.

In ihren letzten Lebensjahren widmet sich Sölle verstärkt dem Thema Mystik: „Die Religion des dritten Jahrtausends wird mystisch sein oder absterben“, heißt es in einem ihrer Bücher. Am 27. April 2003 erliegt Dorothee Sölle in Göppingen im Alter von 73 Jahren völlig unerwartet den Folgen eines Herzanfalls. Am Vortag hatte sie noch einen Vortrag gehalten.