Mit Rucksack und Wanderschuhen: Pilgern ins Ungewisse

Vor knapp acht Jahren startete Claudia Turner zu ihrer ersten Pilgertour – voller Zweifel, ob das für sie funktionieren würde. Was sie dabei lernte: Vertrauen. Zuversicht. Und: Es geht immer weiter.

Claudia Turner musste sich beim Pilgern auf etwas ganz Unbekanntes einlassen – und hat es nie bereut.
Claudia Turner musste sich beim Pilgern auf etwas ganz Unbekanntes einlassen – und hat es nie bereut.Evangelische Zeitung / privat

Als Claudia Turner zum ersten Mal darüber nachdachte, einen Rucksack zu schultern, in Wanderschuhe zu steigen und die gewohnte Welt im rheinischen Bad Münstereifel zu verlassen, war sie 48. Ein Trümmerbruch im Bein hatte sie an Krücken gezwungen. Sie humpelte herum und konnte nur an eines denken: Ich will wieder laufen!

„Mir schwebte damals eine Tour in den Alpen vor“, erinnert sich die heute 55-Jährige, „von Berghütte zu Berghütte“. Aber eine Bekannte, die eine längere Auszeit beim Pilgern auf dem Jakobsweg verbracht hatte, schaltete sich ein. „Ihr fehlte noch ein Weg-Stück in den Pyrenäen“, berichtet Turner. „Das wollte sie mit mir gemeinsam gehen.“

Das würde bedeuten: acht Tage lang aus dem Rucksack leben. Fremde Sprache. Zimmer und Badezimmer teilen. Sich ganz auf die Erfahrung der Freundin verlassen. „Ich musste mich auf etwas völlig Unbekanntes einlassen“, erzählt Turner.

Pilgertour: Über den eigenen Schatten springen

Genau das aber war das Problem. „Ich bin ein Mensch mit einem enormen Sicherheitsbedürfnis“, erklärt sie. „Ich will immer gut vorbereitet sein, für alles einen Plan haben und am besten noch einen Plan B.“ Sie zögerte, zauderte. Aber dann schaute sie auf ihre Krücken, und ihr war klar: „Ich will über meinen Schatten springen.“

Und so kam es. Als ihr Bein geheilt war, ließ sich die Mutter von drei Kindern auf das Unbekannte ein, sagte „Tschüss“ zu Ehemann und Familie. Und ging mit ihrer Bekannten auf den Jakobsweg. Es war ein Wendepunkt in ihrem Leben­. „Das waren tolle Erfahrungen“, schwärmt Claudia Turner von ihrer ersten Pilgertour. „Immer wieder sind wir netten und interessanten Menschen begegnet.“ Die Angst, sich auf Fremde einlassen zu müssen, zerstreute sich schnell. „Wir Pilgerinnen und Pilger sind wie eine große Familie“, erzählt sie.

„Man grüßt, lächelt einander an; fragt, ob man helfen kann“, berichtet Claudia Turner. Schon tagsüber auf dem Weg sei das so. Noch stärker dann in den Unterkünften. „Da entstehen Gespräche, so tief und innig, wie man sich sonst kaum zu reden traut.“ Manche Kontakte bleiben, über Jahre hinweg. Das Ehepaar aus Neuseeland. Der Mann aus Kanada, 80 Jahre und unverdrossen. Der junge Mann aus Italien.

Die erste längere Pilgerreise: „Nichts hat so geklappt wie geplant“

Danach war für Claudia Turner klar: Das mache ich wieder. Nach der Schnupper-Tour sollte es nun, im nächsten Jahr, eine längere Pilger­reise werden. Ihr Bruder bekam das mit und sagte: Das möchte ich auch probieren. Ebenso zwei ihrer Söhne. Einer von ihnen brachte aus der Konfi-Gruppe zwei Mädchen mit, 15 und 16 Jahre alt. „Am Ende waren wir sechs Personen.“ Wieder musste sich die Frau, die es nach Sicherheit verlangte, auf eine unwägbare Situation einlassen.

Drei Wochen unterwegs. Einem entzündet sich der Fuß. Eine knickt böse um. Mal ist die Unterkunft überfüllt. Dann müssen sie tagelang durch Regen und schwüles Wetter laufen. Es gibt Reibereien. „Nichts hat so geklappt wie geplant“, erinnert sich Turner. „Aber am Ende hat trotzdem alles funktioniert.“ Sie schaffen den Weg, jeder auf seine Art und Weise. Alle sind erfüllt von den Erlebnissen, dankbar.

Als Claudia Turner nach den drei Wochen nach Hause kommt, sagt ihr Mann: „Du hast dich verändert.“ Aus der Frau, die wegen jahrelanger Depressionen frühzeitig aus ihrem Beruf als stellvertretende Amtsleiterin einer Kommunalverwaltung in die Frühverrentung ausscheiden musste, ist ein zuversichtlicher und mutiger Mensch geworden.

Insgesamt zehn Pilger-Touren: Jetzt auch mit Ehemann

Insgesamt zehn Pilger-Touren hat Claudia Turner gemacht. Auch ihr Ehemann ist mittlerweile mitgegangen. „Ihn hat beeindruckt, mit wie wenigen Dingen man tage- und wochenlang auskommen kann“, berichtet Claudia Turner. „Es gibt nichts, was dich ablenken kann. Immer nur Schritt für Schritt. Tag für Tag.“

„Ich würde mich nicht als religiös bezeichnen“, sagt sie. Aber das Vertrauen, das sie auf den Pilgerwegen gelernt hat; die Gemeinschaft auf dem Weg. Die Gespräche. Die Erfahrung, dass es immer irgendwie weitergeht, egal, was passiert. Die Kraft, mit den Depressionen umzugehen – das komme ihr manchmal vor wie eine Kraft vom Himmel.

Claudia Turner ist auf Facebook Mitglied einer privaten Unterkunfts-Tausch-Initiative für Pilger, sie heißt „Pilger sucht Dach“.