Mit Liebe und ernsthaftem Interesse

Wim Wenders gibt Einblick in Entstehung und Beweggründe seines neuen Dokumentarfilms „Franziskus – Ein Mann seines Wortes“. Den Mann des Films und den Mann der Kirche verbindet viel

Friedrich Stark

Wim Wenders hat seinen Film über „Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes vorgestellt. Der Dokumentarfilm über das katholische Kirchenoberhaupt läuft am 14. Juni in den deutschen Kinos an. Im Interview mit Christoph Scholz erläutert er, welche Bedeutung für ihn dieser Papst hat – und weshalb er selbst einmal Priester werden wollte, aber zunächst der Medizin den Vorzug gibt, ehe er im Filmemachen schließlich seine Berufung findet.

 

— Herr Wenders, hätten Sie sich je vorstellen können, einen Papst als sozialen oder ökologischen Revolutionär darzustellen?
Nein, das hätte ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können: Weder einen Film über einen Papst zu machen, noch über einen solchen Papst.

— Der Vatikan hat Sie angefragt. Wie kam Ihre Zusage zustande?
Das ergab sich aus dem Gespräch mit dem damaligen Kommunikationschef des Vatikan, der von Kino viel versteht (Dario Edoardo Viganò, Anmerkung der Redaktion). Es gab keinerlei Vorgaben, weder über die Art von Film noch über das Konzept. Auch die Produktion sollte unabhängig sein, und anders hätte ich das auch nicht machen können. Im Französischen spricht man von einer „carte blanche“. Das hat mich gereizt. Ich konnte den Film mit derselben Freiheit machen wie jeden anderen meiner Dokumentarfilme vorher. Erst beim Schreiben, Drehen und Schneiden wurde mir bewusst, mit welcher Verantwortung die Aufgabe einhergeht.

— Sie wollten keinen Film über, sondern mit Franziskus drehen. Wo war der Wendepunkt von der distanzierten Biographie zum „Bekenntnis“ zu Franziskus?
Es gibt viele Filme über Papst Franziskus. Wenn ich schon einmal die Chance hatte, ihm so nahe zu sein und Fragen zu stellen, wäre ein rein biographischer Film eine vertane Chance gewesen – das ist auch nicht sein Ding, er ist ein bescheidener Mann, dem es nicht um sich selbst geht. Die „Einladung“ kam am Ende seines ersten Amtsjahres, aber ich konnte erst im dritten Jahr seines Pontifikats mit der Arbeit anfangen. Da wusste ich schon viel über ihn und seine Anliegen.

— Was hat Sie persönlich an „Papst Bergoglio“ beeindruckt?
Am meisten die Herzlichkeit und die unmittelbare, ganz selbstverständliche Haltung gegenüber allen Menschen. Und das war schon sichtbar, wie er sich allen im Filmteam gegenüber verhalten hat: „Ich bin wie jeder andere auch; ihr müsst mich nicht hofieren.“ Der Papst hat jeden am Set mit Handschlag begrüßt, einschließlich Bühnenarbeiter und Beleuchter, und sich von jedem persönlich verabschiedet. Wir haben uns viermal zu einem jeweils zweistündigen Interview getroffen.

— Begründet das sein Charisma?
Für ihn haben alle Menschen die gleiche Würde und sind wirklich gleich. Das spürt jeder, der ihm begegnet. Und das hat mir am meisten imponiert: Er lebt was er sagt. Wir kriegen das ja selbst leider oft genug nicht hin, selbst wenn wir es wollen. Wie oft schaut man auf Menschen herunter – und unsere Gesellschaft drängt uns diese Haltung oft auf.

— Sie sehen den Papst als ein weit über die Kirche hinausreichendes Vorbild. Was ist seine Bot-schaft an die Welt?
Wir leben in einer Zeit, in der uns immer klarer wird: Keiner lebt für sich alleine. Was immer wir anderen antun, oder Mutter Erde, das richtet sich irgendwann gegen uns selbst. Des­halb wächst das Bewusstsein von einem Allgemeinwohl, das über unser aller Geschick entscheidet. Gleichzeitig scheint vielen der Mächtigen in der Welt dieses Be­wusstsein abhanden zu kommen, sie haben keinerlei moralische Befugnis, kommt uns vor. Der Papst ist hingegen jemand, der keine politischen oder wirtschaftlichen Eigeninteressen vertritt, sondern wirklich nur das Gemeinwohl im Blick hat. Damit ist er ein einzigartiger Kommunikator und eine einzigartige Bezugsperson.

— Wie der US-Regisseur Martin Scorsese haben Sie in jungen Jahren darüber nachgedacht, ka-tholischer Priester zu werden. Was war die Motivation?
Auch mein Vater hatte das lange erwogen, ist dann aber Mediziner geworden. Er hat mir ein Christentum vorgelebt. Ich bin in der katholischen Kirche aufgewachsen und kannte einige sehr beeindruckende Geistliche. Damit war es für mich eine durchaus ernste Option, Priester zu werden. Ich entschied mich dann für die Medizin, bis ich merkte, dass das nicht meines war.

— Hat das Erleben der Liturgie, die Inszenierung sakraler Handlungen, Ihr künstlerisches Schaf-fen mitgeprägt wie etwa bei Fellini oder James Joyce?
Man ist durch nichts mehr geformt als durch diese ersten Lebensjahre, und ich komme aus einem sehr gläubigen Elternhaus. Die katholische Liturgie habe ich sozusagen „in meinem System“.
nn Was die genannten Berufe verbindet, ist das Interesse am Menschen. Auch Ihre Filme befas-sen sich mit Menschen in existenziellen Situationen…
Wenn man sich nicht ernsthaft für den Menschen interessiert, was ihn heute umtreibt, wenn man keine Liebe zu Menschen hat, kann man diese Berufe nicht ergreifen, auch den des Filmemachens nicht. Ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen, einer besonderen Zeit. Alle waren am Boden, auch meine Eltern und so waren alle miteinander solidarisch. Es gab ein schönes und selbstverständliches Miteinander. Vielleicht habe ich da als kleiner Junge etwas Utopisches kennengelernt, eine Sehnsucht, die mich geprägt hat, so dass meinem Tun eine soziale Relevanz innewohnt.

— Welche Rolle spielen Glaube und Spiritualität für Sie persönlich?
Wenn einem in seinem Leben Gott wichtig, ja eine Realität geworden ist, dann wirkt sich das auf alles aus, was man tut. Und wenn man wirklich felsenfest überzeugt ist, dass man Dunkelheit nicht mit Dunkelheit bekämpfen kann, sondern nur mit Licht, dann hat das Konsequenzen.

— Welche Bedeutung hat das religiöse Empfinden für Ihr Filmschaffen?
Künstler haben eine große Aufgabe – und nicht wenige drücken sich davor –, nämlich den Menschen zu zeigen, dass hinter dem vordergründigen Schein etwas anderes sein könnte; oder die Wirklichkeit auch mit anderen Augen zu sehen sei. Film und Malerei sind ja Künste des Sehens. Jeder Maler versucht aufs Neue, den Betrachter das Sehen zu lehren.

— Was kann Kunst heute bewirken?
Wer die Welt in Bilder fasst, ist auch verantwortlich für ihre Wirkung, dafür, wie sie anderen die Welt erschließen. Mit Filmen kann man nicht groß die Welt verändern, aber die Vorstellung von ihr. Ich hoffe, dass dies auch meinem Film über Franziskus gelingt.