Mit der Zeitschrift in der Hand

Hamburgs Straßenmagazin Hinz&Kunzt wird 25 Jahre alt. Während kommerzielle Magazine auf Digital-Formate setzen, bleibt Hinz&Kunzt bei Papier – denn ein Straßenmagazin ohne Verkäufer macht wenig Sinn.

Hinz&Kunzt-Verkäufer mit Kundschaft (Archiv)
Hinz&Kunzt-Verkäufer mit Kundschaft (Archiv)Stephan Wallocha / epd

Hamburg. Diakonie-Chef Stephan Reimers war erst wenige Wochen im Amt, als er die Idee für eine neue Zeitung hatte: Obdachlose selbst sollten ein journalistisch anspruchsvolles Magazin verkaufen. Einen Teil der Einnahmen behalten sie. So entstand Hinz&Kunzt, jetzt feiert die Zeitschrift 25. Geburtstag. Am Dienstag, 6. November, wird das Jubiläum mit einem Charity-Abend gefeiert. 
Vorbild war das Londoner Straßenmagazin "Big Issue". Fast gleichzeitig mit Hinz&Kunzt wurde "Biss" in München gestartet. Heute gilt Hinz&Kunzt als Flagschiff der Straßenmagazine. Schon der Auftakt war ein Erfolg. Die erste Auflage von 30.000 Exemplaren musste um 15.000 erhöht werden. Für den darauffolgenden Dezember wurden gleich 120.000 Exemplare gedruckt. Mittlerweile gibt es bundesweit 50 Straßenzeitungen. Viele erhielten Starthilfe von Hinz&Kunzt.

Woher der Name kommt

Die Namensgebung war chaotisch, erinnert sich der damalige Co-Chefredakteur Ivo Banek. Kurz bevor die erste Nummer mit dem Titel "Jetzt" in Druck gehen sollte, wurde bekannt, dass die Namensrechte dafür bei der "Süddeutschen Zeitung" lagen. Ein kurzes Brainstorming ergab, dass es ein Blatt für "Hans und Franz" sein sollte mit einem anspruchsvollen Kulturteil: Daraus wurde dann Hinz&Kunzt. 
Eine Klippe für die Crew war die Sozialbehörde. Wer Sozialhilfe erhalte, müsse zusätzliche Einnahmen angeben und einen Teil wieder zurückzahlen, war die Ansage von Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD). Stephan Reimers und das Hinz&Kunzt-Team argumentierten, dass von den Einnahmen meistens Schulden oder Arztkosten beglichen würden. Ein Kompromiss sah vor, dass die Einnahmen angegeben werden und jeder Verkäufer einen Freibetrag behalten darf, der heute 110 Euro beträgt.
Die meisten haben feste Verkaufsplätze. Zuweilen haben sie mit unseriöser Konkurrenz zu kämpfen. So tauchte vor zwei Jahren das "Straßen Journal" auf, von dessen Verkäufern sich die "Hinz&Künztler" an ihren Plätzen bedroht fühlten. Weil es journalistisch schwach war, verschwand es einige Zeit später wieder aus den Straßen. In Rheinland-Pfalz etwa ermittelten sogar die Behörden gegen das angebliche Obdachlosenmagazin "Streetworker". 

Klare Regeln für Verkäufer

Für die aktuell 530 Verkäufer von Hinz&Kunzt gibt es klare Regeln: Jeder hat einen Ausweis dabei, Alkohol ist tabu. Trinkgeld und ein kleiner Schnack sind gern gesehen. Ein Verkauf in Bussen und Bahnen ist ebenso untersagt wie das Bedrängen von Passanten. Es sei ein Geschäft "auf Augenhöhe", sagt Chefredakteurin Birgit Müller. "Jeder kann betteln – aber nicht mit der Zeitung in der Hand." 
Waren in den 1990er Jahren Obdachlose in Hamburg oftmals Menschen aus der ehemaligen DDR, so sind es heute nach der EU-Erweiterung überwiegend Osteuropäer. Vor allem Roma aus Rumänien und Bulgarien versprechen sich vom Zeitungsverkauf finanzielle Hilfe für ihre verarmten Familien. Dafür sei der Verkauf von Hinz&Kunzt aber nicht ausgerichtet, sagt Chefredakteurin Birgit Müller. Viele Hinz&Kunzt-Verkäufer stammten zwar aus Rumänien und Bulgarien. Es könnten aber nicht alle Bedürftigen versorgt werden. 

Auflage sinkt

Die Digitalisierung verschont auch die Straßenmagazine nicht. Junge Menschen würden sich zwar gern in sozialen Projekten engagieren, aber nur selten eine Zeitung kaufen, sagt Birgit Müller. Lag die Gesamtauflage 2016 noch bei 720.000, so fiel sie 2017 auf knapp 690.000. Es gibt aktuelle Infos zum Thema Armut im Netz und einen regen Austausch auf Facebook. Kernanliegen bleibt jedoch der Verkauf der Zeitung – und das in bar. 
Inzwischen ist aus dem kleinen Diakonie-Verlag ein Sozialbetrieb mit 2,2 Millionen Euro Jahresumsatz geworden. Obdachlose führen Interessierte zu Orten der Obdachlosigkeit, ein Team sammelt Flaschen am Flughafen, und im "Brotretter"-Shop gibt es günstiges Brot vom Vortag. Von den 38 Mitarbeitenden sind 22 ehemalige Verkäufer. 
Jetzt steht ein richtig großes Projekt an: Mit Hilfe von Erbschaften, Spenden und Stiftungen will Hinz&Kunzt 2020 ein eigenes Haus in St. Georg beziehen. Geplant sind Räume für den Verlag und 13 Wohnungen für Bedürftige. (epd)