Hannover: Umstrittenes Lüpertz-Fenster lockt viele Besucher an

Unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit hat die Marktkirche in Hannover das umstrittene Reformationsfenster von Markus Lüpertz eingeweiht. Nun strömen die Besucher, um das Kunstwerk anzuschauen.

Nach siebenjähriger Bau- und Planungszeit wurde in der evangelischen Marktkirche in Hannover das umstrittene Reformationsfenster des Künstlers Markus Luepertz eingeweiht
Nach siebenjähriger Bau- und Planungszeit wurde in der evangelischen Marktkirche in Hannover das umstrittene Reformationsfenster des Künstlers Markus Luepertz eingeweihtepd-bild / Jens Schulze

Gudrun Klusmann will es ganz genau sehen. Mit einem kurzen Griff schnappt sie sich eines der in der Kirche bereitliegenden Ferngläser und betrachtet damit Details des 13 Meter hohen „Reformationsfensters“ in der Backsteinwand gegenüber. Die weiße Figur ganz unten etwa. Das rätselhafte Gerippe. Und die blauen, roten und gelben Symbole ganz oben. Ende Oktober, am Reformationstag, wurde das Kunstwerk von Markus Lüpertz, das Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vor sieben Jahren angeregt hatte, in der evangelischen Marktkirche von Hannover nach heftigen Kontroversen und Rechtsstreitigkeiten eingeweiht. Seitdem lockt es Tag für Tag zahlreiche Besucherinnen und Besucher an – so wie Gudrun Klusmann: „Ich bin extra hierhergekommen, um es mir anzuschauen.“

Marktkirchenpastor Marc Blessing spricht bereits von einem Publikumsmagneten: „Wir erleben eine große Steigerung der Besucherzahlen, und zwar aus ganz Deutschland.“ Nach seinen Angaben kommen derzeit pro Woche mehr als 1.000 Menschen, um das Kunstwerk zu sehen: Passanten, Neugierige, Touristen und Kunstfreunde. „Wir merken, dass mit dem Fenster eine neue Energie in die Kirche gekommen ist.“ Die Reaktionen fielen allerdings unterschiedlich aus.

Viel Zuspruch, aber auch Ablehnung

Auch Gudrun Klusmann sieht das Fenster mit gemischten Gefühlen. „Die obere Hälfte finde ich schön, da kann ich gut mit den Augen spazieren gehen“, erzählt sie. „Aber der untere Teil ist für mich irritierend.“ Was soll bloß dieses seltsame Gerippe? „Das ist halt Kunst“, sagt sie lakonisch. „Da muss man sich eben mit auseinandersetzen.“ Auch anderen Besuchern geht es so. Viele stehen lange vor dem Fenster in der Südfassade der spätgotischen Kirche, recken die Hälse in die Höhe, lassen die Blicke schweifen und deuten mit dem Finger nach oben. Andere sitzen versunken auf einer Bank und rätseln, was wohl dieses Tintenfass oder jener Frauenkopf zu bedeuten hat.

Ins Auge fällt zunächst die große weiße Figur, die den Reformator Martin Luther (1483-1546) darstellen soll, aber auch als Christus gedeutet wird. Beschwörend reißt sie die Hände in die Höhe, als sei sie zutiefst erschrocken. Das Gerippe in ihrem Nacken leuchtet bei Sonnenschein in gleißendem Orange. Durchs Bild krabbeln zudem fünf fette blau-schwarze Fliegen, die das Böse und die Vergänglichkeit symbolisieren sollen.

Reformationsfenster möchte Todesängste vertreiben

Pastor Blessing hat längst seine eigene Interpretation des Fensters: Es sei eine Auseinandersetzung mit dem Tod. „Es möchte die Todesmächte vertreiben.“ Das Positive erschließe sich nicht auf den ersten Blick: „Um das Schöne zu finden, muss man schon genau hinschauen – hinter das Böse.“ Beim Publikum führt das zu einem geteilten Echo. Von „großartig“ bis „abstoßend“ reichen die Reaktionen bei denen, die an diesem Tag durch die Kirche schlendern. „Sehr gewöhnungsbedürftig“ hat jemand ins Gästebuch geschrieben: „Aber wo und wann ist Kunst das nicht?“

Auf den Zetteln an der Pinnwand sind die positiven Reaktionen leicht in der Überzahl: „Richtig gut!“, heißt es dort: „Bereichert die Kirche.“ Oder: „Das Fenster regt zum Nachdenken an.“ Die negativen Reaktionen klingen dagegen gepfefferter: „Das Fenster finde ich hässlich“, schreibt jemand. Die Kirche solle Trost spenden und nicht das Böse zeigen. Und: „Schade um das rausgeschmissene Geld für dieses fürchterliche Fenster.“

Kunstwerk kostete rund 208.000 Euro

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), ein Freund von Lüpertz, wollte es ursprünglich der Kirche schenken. Dafür hatte er Spenden gesammelt. Doch als der russische Angriffskrieg in der Ukraine begann, widmete die Marktkirche die Spenden wegen Schröders Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin um und steckte sie in einen Ukraine-Fonds. Das Fenster muss sie nun selbst bezahlen – doch schon sind neue Spender gefunden.

Schon früh regte sich Widerspruch gegen die ungewöhnliche Bildsprache des Künstlers, doch die Marktkirche hielt sieben Jahre lang an ihrer Absicht fest, das Kunstwerk zu installieren. Daran konnte auch ein zweijähriger Rechtsstreit nichts ändern. „Das Fenster ist nicht lieblich“, räumt Pastor Blessing ein. „Aber es ist auf jeden Fall eine Kunst, die einen nicht gleichgültig lässt.“