Mit anderen Augen

Über Geschenke, Besitz und Liebe schreibt Pamela Hansen. Sie ist Pastorin auf Helgoland.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Vater, gib mir den Teil der Erbschaft, der mir zusteht“ aus Lukas 15, 1-3.11b-32
Ich denke immer, dass mir ganz viel zusteht. Aber wenn man auf einer Insel weit draußen in der Nordsee lebt, dann lernt man schnell, dass es einem überhaupt nichts nützt, wenn einem gewissen Dinge zustehen. Man bekommt sie nämlich manchmal trotzdem nicht: Laut Vertrag mit einem Telefonanbieter steht es der Kirchengemeinde zu, dass bei einer Störung ein Techniker binnen acht Stunden vor Ort ist. Es ist aber schlichtweg nicht möglich, dass ein Techniker es in diesen acht Stunden hierherschafft, auch wenn es uns noch so sehr zusteht! Dieser muss nämlich mit dem Schiff oder mit dem Flugzeug anreisen und das dauert seine Zeit.
Der „verlorene Sohn“ denkt auch, ihm stünde etwas zu. Ich frage mich allerdings, ob dieser Sohn überhaupt „verlorengegangen“ wäre, hätte er die Liebe seiner Familie und den Besitz als Geschenke betrachtet und nicht als etwas, das ihm zusteht. Er macht am Ende die Erfahrung, dass diese Dinge nicht selbstverständlich sind, und er ist dankbar für das Geschenk der Gnade und Vergebung.
Ich weiß natürlich nicht, wie andere so drauf sind, und kann hier nur für mich selber sprechen: Ich bin schon geneigt, Dinge zu verschleudern, von denen ich denke, dass sie mir zustehen. Bei Geschenken ist das anders. Über die freue ich mich sehr und gebe auch gerne davon ab. Aber verschleudern, einfach nur um Spaß zu haben, würde ich sie nicht.
Einen Versuch ist es allemal wert: Betrachten wir die Welt doch einfach mal mit anderen Augen, nämlich so, als würde uns gar nichts zustehen – keine Achtung, keine Anerkennung für geleistete Arbeit, kein Besitz, keine Liebe, keine Freundschaft. Wie viel mehr bewegt es uns dann, wenn uns diese Dinge geschenkt werden?
Ich jedenfalls habe die Erfahrung gemacht, dass ich mich viel öfter ärgere, wenn ich meine, dass mir etwas zusteht und ich es dann nicht bekomme. Das frustriert mich ohne Ende und macht mich manchmal sogar richtig wütend.
Über Geschenke dagegen kann ich mich richtig freuen. Sogar über die, die ich manchmal gar nicht haben möchte.
Unsere Autorin
Pamela Hansen
ist Pastorin auf Helgoland.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.