Mit Albrecht Dürer die Zeit um 1500 entdecken

Die „betenden Hände“ von Albrecht Dürer (1471-1528) kennen viele Menschen, auch wenn sie sonst nichts von dem weltberühmten Renaissance-Künstler wissen. Ein Historiker lädt ein zu einem Rundgang durch dessen Welt.

Albrecht Dürers Zeichnung mit betenden Händen sind der Hit. Oft kopiert und imitiert, finden sie sich oft auf Grabsteinen, besonders in Nordeuropa oder den USA, sagt der Heidelberger Mittelalterhistoriker Romedio Schmitz-Esser. Warum sie immer noch so erfolgreich sind? Schmitz-Esser sieht den Grund darin, dass „die Skizze der gefalteten Hände, Andacht, stilles Gedenken und fromme Einkehr symbolisiert, ohne konfessionell oder überhaupt religiös eindeutig konnotiert zu sein.“

Sie treffen aber auch die Stimmung um 1500 sehr genau, meint der Historiker. „Das persönliche Gebet, die eigene Frömmigkeit war eine Forderung der Zeit, die wesentlich den Zugang der Christen zur Religion prägte.“ Schmitz-Esser hat sich den Nürnberger Künstler Albrecht Dürer ausgewählt, um in seinem neuen Buch „Um 1500. Europa zur Zeit Albrecht Dürers“ diese vergangene und im Vergleich zu heute so andere Zeit lebendig werden zu lassen.

Ausgehend von einer Zeichnung, einem Gemälde oder einem Holzschnitt stellt Schmitz-Esser in 50 Kapiteln die Lebenswelt des Künstlers Dürer dar. „Es ist eine Welt in Bewegung, die nach neuen Antworten auf alte Fragen sucht und dabei die moderne Welt grundlegt, zugleich aber in mittelalterlichen Denkmustern fest verhaftet ist“, erklärt der Historiker.

Der spätere Künstler war eins von 18 Kindern aus der Ehe seiner Eltern, von denen insgesamt wohl nur drei das Erwachsenenalter erreichten. Sein Vater, der auch Albrecht Dürer hieß, notierte den Geburtstag – der junge Albrecht Dürer wusste also genau, wie alt er war. Das war neu, sagt Schmitz-Esser. „Hier bricht sich eine neue Weltsicht Bahn, die ganz langsam und allmählich den Wert des Lebens höher zu schätzen beginnt als allein das Jenseits.“

Das Verhältnis von Kindern zu den Eltern war damals anders, denn es war „wohl weniger von Liebe als vielmehr von großem, tief eingeübtem Respekt gekennzeichnet“, meint Schmitz-Esser. Im 15. Jahrhundert Kind gewesen zu sein, bedeutet nach Ansicht des Historikers mit den weitreichenden Erwartungen der Eltern konfrontiert zu sein: „Die Fortführung des väterlichen Geschäfts, die soziale Stellung der Familie und zuletzt die Altersversorgung der Eltern hingen direkt von den eigenen Kindern ab.“ Also viel Druck und wenig Selbstentfaltung.

Im Fall von Albrecht Dürer senior war es das Goldschmiedehandwerk. Aber sein Sohn interessiere sich mehr für die Malerei. Zu seinem Glück respektierte der Vater den Wunsch und brachte seinen Sohn in einer Werkstatt unter, um dort zu lernen. Die Umstände waren jedoch günstig für Dürer, denn „dies war eine Zeit, in der einem Künstler der Aufstieg vom einfachen Handwerker zu einem zentralen Mitglied der urbanen Elite gelingen konnte“.

Außerdem war der junge Dürer am richtigen Ort, denn Nürnberg, damals eine freie Reichsstadt, war wegen ihrer überregionalen Handelsnetzwerke ein wichtiger Ort. Gleichzeitig erlangte die Stadt Bedeutung als ein frühes Zentrum des Buchdrucks, damals ein neues Medium. Damit tat sich auch für den jungen Dürer eine wichtiges Betätigungsfeld auf: Er stellte unter anderem auch Holzschnitte für Bücher her.

Es gibt sehr reiche und informative Quellen zu Albrecht Dürer und seiner Familie, sagt der Heidelberger Historiker. Heiraten aus Liebe? Sich den Partner seiner Wahl selbst aussuchen? Für die Menschen zu der Zeit kaum vorstellbar. Die Eltern suchten einen geeigneten Partner aus, wie auch im Fall von Albrecht Dürer.

Zu einer Ehe gehörten natürlich Kinder und damit auch Sex. Dieser war, so Schmitz-Esser, in der Gesellschaft um 1500 als Thema deutlich präsent, aber mit klaren Regeln versehen. Was streng verboten war: Sodomie. Darunter verstand man damals männliche Homosexualität und Sex mit Tieren. Beides galt, so der Historiker, als Verstoß gegen die göttliche Ordnung. Nach seiner Erkenntnis wurde Sex gerne mit einer Warnung vor der Sünde verknüpft. „Nirgends wurde vielleicht so viel über Sexualität gesprochen wie im mittelalterlichen Kloster.“

Zu den dunklen Seiten der Gesellschaft um 1500 gehörte der „latente, allgegenwärtige und durchaus gewalttätige Antijudaismus“. Schmitz-Esser weist darauf hin, dass sich in spätmittelalterlichen Städten viele Zeichen des Judenhasses befanden, wie auch in Dürers Pfarrkirche St. Sebald in Nürnberg eine Schmähplastik. Der Umgang mit den Überbleibseln der mittelalterlichen Judenfeindschaft sind ein aktuelles Thema. Entfernen oder mit einem Hinweis versehen?

Was Dürer ins Bild setzte, bietet den Menschen heute einen tiefen Einblick in die Welt um 1500.