Misereor-Leiter Spiegel zur Lage von Kleinbauern in Kolumbien

Im Hochland Kolumbiens hat eine Delegation des bischöflichen Hilfswerks Misereor die Gäste seiner diesjährigen Fastenaktion besucht, um sich selbst ein Bild von der Lage in der abgelegenen Region im Süden des großen Landes zu machen. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) berichtet Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel über seine Erfahrungen:

KNA: Herr Spiegel, im Hochland von Kolumbien ist die Luft dünn, in vielerlei Hinsicht. Mit welchen Problemen haben die Menschen am meisten zu kämpfen?

Spiegel: Bandengewalt ist präsent; und der Anbau von Koka, mit dem man hier leichtes Geld machen kann – und der zugleich Zusammenleben zerstört. Weitere Problemfelder sind fehlender Zugang zu Bildung und Gesundheitseinrichtungen; und auch, dass es in Kolumbien nie eine Agrarreform zugunsten von Kleinbauern gegeben hat, gerade hier im Hochland, das wir in diesen Tagen besucht haben.

KNA: Welche Rolle spielt der Klimawandel?

Spiegel: Von Bauernfamilien, die hier nur ein halbes bis zwei Hektar Land bewirtschaften, hören wir, dass Regen ausbleibt. Wir hören von bislang unbekannten Pilzkrankheiten. Aber wir haben auch erfahren, dass es Familien, die sich hier auf 2.500 Metern ökologischem Landbau verschrieben haben, inzwischen gelingt, sich den widrigen Bedingungen immer besser anzupassen. Biodiversität wirkt dem Klimawandel also ein Stück weit entgegen. Aber wo das nicht gelingt, ist auch Migration Richtung Westen und in die Städte schon jetzt eine Folge.

KNA: Bei unserem Besuch hat Sie eine Kleinbäuerin durch ihr kleines Stück Land geführt; und die junge Frau hat Ihnen einen Korb mit Obst und Gemüse aus eigenem Anbau gefüllt. Was haben Sie dabei gefühlt?

Spiegel: Meine eigenen biografischen Wurzeln liegen ja in der Landwirtschaft. Für mich war sehr bewegend zu sehen, was auf einem so kleinen Stück Land – 5.000 Quadratmeter – alles wächst; was an gesunder und vielfältiger Nahrung zu pflanzen möglich ist, für das eigene Haus und für die Nachbarschaft.

KNA: Überhaupt haben wir starke Frauen getroffen, die oft als erste in der Gemeinde die Probleme gesehen haben und ihre Männer und Familien und andere mitgezogen haben.

Spiegel: Ja, Lateinamerika ist stark vom ‚Machismo‘ geprägt. Männer meinen sagen zu müssen, wo es lang geht. Aber wie Sie sagen: Diese Frauen üben eine weiche Macht aus; sie erkennen, wie es besser geht, und ziehen andere mit in eine bessere Richtung.

KNA: Die Landpastoral im Süden Kolumbiens propagiert für die Kleinbauern ökologische und diverse Landwirtschaft. In globaler Perspektive: Ist das auch weltweit eine Lösung angesichts einer rasant weiterwachsenden Bevölkerung?

Spiegel: Nachhaltige Landwirtschaft ist für mich eine Alternative, ja. Sie ist zwar weniger produktiv als etwa Monokulturen und wird vom Staat weniger gefördert. Letzteres muss sich noch ändern. Aber wir haben auch von Menschenrechtlern und Soziologen hier in Kolumbien gehört, wie viele gesellschaftliche Vorteile Vielfalt im Landbau auch jenseits der reinen Produktivität bietet. Das meiste davon landet direkt lokal auf dem Teller; zudem bremst Vielfalt die Erderwärmung. Insgesamt sehe ich das Modell weltweit auf dem Vormarsch – in kleinem Maßstab zwar, aber stetig.

KNA: Ihre Zeit als Geschäftsführer von Misereor endet in diesem Jahr. Es ist also Ihre letzte Delegationsreise und Aktionseröffnung – mit besonderen Gefühlen?

Spiegel: Ich habe 15 Jahre in Brasilien gelebt. Insofern ist mir Lateinamerika vom Lebensgefühl und der Lebensidee sehr nahe. Zudem ist das Thema Landwirtschaft wie gesagt buchstäblich sehr nah an meinen eigenen biografischen Wurzeln. Beides schlägt für mich einen sehr schönen Bogen – und motiviert mich besonders, meine Kraft bis zum Ende meiner Amtszeit ganz Misereor zu widmen.

KNA: Aus den Völkern Lateinamerikas stammt das Konzept des „buen vivir“, also des „guten Lebens“ oder Zusammenlebens, ohne auf Kosten der jeweils anderen zu leben. Bleiben Sie in dieser Hinsicht optimistisch?

Spiegel: Das Konzept basiert auf einer Harmonie in Vielfalt, die den jeweils anderen gelten lässt. Diese Art der Spiritualität, der auch Papst Franziskus nahesteht, ist und bleibt richtungsweisend für unsere Art, in Zukunft mit der Schöpfung und mit den Mitmenschen umzugehen und in Beziehung zu leben.